Über die verschiedenen Aggregatzustände von LIEBE

kalp

Liebe ist die neue Volksdroge. Wir können heute, so auch wie schon immer eigentlich, nicht ohne. Was allerdings neu ist, ist, dass wir nicht wirklich mit können. Man könnte natürlich nun all die lieb- und herzlosen Gräueltaten wie Kriege, Verfolgungs- und Ausrottungsversuche und gleichgültigen Krankheitsepidemien der Vergangenheit als Gegenargument für Musterbeispiele für Lieblosigkeit aufzählen. Dennoch glaube ich, dass wir in der partnerschaftlichen Liebe derzeit mit einer Versetzungsgefahr konfrontiert sind. Medienformate wie „Bauer sucht Frau“, „Catch the Millionär“ und „Hochzeit auf den ersten Blick“ sollen wohlmöglich das letzte Tröpfchen Hoffnung in die Liebe am Leben erhalten. Dabei ist doch Liebe soziologisch betrachtet, adäquat wie die Familie für die Gesellschaft, der Kleister, der die Menschen zusammenhält.

Aber was ist Liebe? Oder präziser gefragt: Hat Liebe eventuell differenzierte Aggregatzustände?

Ich möchte hierbei auf zwei explizite Beispiele von zwei türkischen Frauen eingehen. Beide sind in den 40er Jahren in der Türkei geboren, die eine im Westen, die andere im Osten. Im ländlichen Raum großgeworden, kaum eine Schulausbildung genossen, das heißt nur das Nötigste an Lesen und Rechnen erlernt, nicht in unserem Sinne Berufstätig, sondern vielmehr in der Landwirtschaft, im Haushalt mit den Kindern. Beide Frauen waren kinderreich und verheiratet. Bis zum Tod, mit ein und dem selben Partner.

Die Umstände, die zur Hochzeit sind, trotz biographischer Parallelen so unterschiedlich. Dabei spielt die geographische Lage, meiner Meinung nach keine Rolle, ich glaube, das ist wohl Kismet, wie es so schön heisst. Die Frau aus dem Westen der Türkei hieß Şerife. Sie war meine Großmutter und verstarb vor einigen Jahren. Die Frau aus dem Osten heißt Döne. Sie ist die Mutter unserer Nachbarin und verkörpert für mich die Verbindung von Sherazade und Sherlock Holmes, immer eine Anekdote parat und wahnsinnig neugierig.  Beide Frauen haben großes in ihrem Leben geleistet und verdienen es zumindest in einem Mini-Blog-Beitrag gewürdigt zu werden. Man könnte sicher Biographien über sie schreiben, aber hier konzentrieren wir uns auf den Heiratsantrag, das Liebesversprechen, das Fundament für das gemeinsame „Wir“.

Şerife, die „Schlecht-Gelaunte“ 

Ich habe meine Großmutter immer als störrische alte Frau, die immer schimpfte und nörgelte in Erinnerung. Sie war extrem pingelig und ordnungsliebend. Man muss dazu sagen, dass meine Oma 9 Kinder alleine geboren und quasi alleingroßgezogen hat, da sie 3km vom nächsten Dorf auf dem Bergansatz wohnte und mein Großvater nach Deutschland kam, um für die Familie sorgen zu können. Sie war also Ende der 50er, in der Pampa, Alleinerziehend. Während er das Geld verdiente, verwaltete sie es. Innerhalb weniger Jahre kaufte sie das halbe Dorf auf, eine hochbegabte Geschäftsfrau. Dass das Spuren hinterlässt, kann ich jetzt nachempfinden. Leider kann ich ihr meine Empathie nicht mitteilen. Ich bin mir sicher, wir hätten uns heute stundenlang unterhalten können, und sie hätte viele viele weise Ratschläge für mich und mein Leben, was im Vergleich zu ihrem doch so einfach und komfortabel ist.

Meine Oma war bereits als junges Mädchen von hübscher Statur, jedoch machte ihre ernste Miene und ihr scharfes Mundwerk es den Herren der Schöpfung nicht einfach, ihr den Hof zu machen. So kam es, dass sie „schon“ 19 war und „noch immer“ ledig bei ihren Eltern lebte. Eines Tages erfuhr sie, dass der Lehrer der Dorfschule um ihre Hand halten möchte und dass die Eltern diesem Antrag nicht negativ gestimmt seien. Ich weiss nicht, was in diesem Moment ihr durch den Kopf ging, was sie fühlte oder mit wem sie sich austauschte. Ich weiss nur, dass sie an dem nächsten Morgen vor Sonnenaufgang auf den Esel im Stall sprang, meinen Großvater davon unterrichtete und mit ihm durchbrannte. „Sie hat mich vor die Wahl gestellt, ob ich mit ihr mitkommen will oder nicht. Falls du dich nicht traust, gehe ich alleine, sagte sie“ erzählte mein Großvater. Er selbst war Ringer und von großer Statur, sie hingegen immer relativ schmal und zierlich. Der Anblick war sicherlich filmreif, als sie auf ihrem Esel ihm, den Ringer, den Vorschlag macht, gemeinsam durchzubrennen. So kam es dann! Es kann sich nicht nur um eine Notlösung gehalten haben. Sicherlich haben sich die beiden wohl gesehen und Gefallen aneinander gefunden. Bei der ersten Kommunikation jedoch hat sie schon Nägel mit Köpfen gemacht. Sie hatten gute und auch schlechte Zeiten in der Ehe. Sie haben es jedoch immer geschafft Krisen mit Liebe zu überwinden. Nach ihrem Tod fragte ich meinen Großvater wie es ihm nun ginge und an was er sich bei ihr noch erinnert. Er war nie der Mann der großen Worte. Dennoch beschrieb er eine Szene aus den ersten Tagen ihrer Ehe, bei der sie aus einem Stück Stoff, den er ihr als Geschenk auf dem Bazar gekauft hatte, ein Kleid genäht hatte und ihn lächelnd empfang. Die Erinnerung war so lebendig, so dass ich sie beinahe in seinen Pupillen sehen konnte. Es war Liebe, bis dass der Tod sie scheidete.

Döne: die Liebreizende

Döne war als alte Frau schon wunderschön, so dass man sich ständig fragte, wie sie wohl als junges Mädchen ausgesehen haben musste. Durch ihre erzählfreudige und neugierige Art war sie immer sehr kommunikativ. Man musste sie einfach gern haben und verzieh ihr auch ihre manchmal penetrante Art, die Privatsphäre der anderen ausser Acht zu lassen. Diese wunderschöne Art an ihr muss ihrem Mann Abdullah wohl auch nicht entfallen zu sein. Abdullah war 10 Jahre älter als Döne und hat sich auf den ersten Blick in sie verschossen. Zwischen den beiden bestand wohl auch ein ferner Verwandtschaftsgrad aber dennoch erinnert sich Döne an Abdullah nicht wirklich davor bemerkt zu haben. Davor: Abdullah bekommt vom Militär ein Schreiben für seinen Wehrdienst, welcher damals drei Jahre andauerte. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Diese Länge muss es wohl gewesen sein, die Abdullah für einen Moment in den Wahnsinn trieb, so dass er schnurstracks in das Haus von Döne lief. Zu dieser Stunde war sie mit ihren Schwestern und Cousinen allein zu Hause (das muss er wohl berechnet haben). Er fand sie in der Küche vor. Er nahm das Küchenmesser in die Hand und fragte sie „willst du mich heiraten?“.

Diese Szene haben wir uns mindestens 20 mal erzählen lassen. Und jedes mal wurde laut geschimpft und diskutiert. Wir kleinen Gören fragten immer wieder „Wie konntest du mit einem heiraten, der dich mit einem Messer bedroht hat?“. Sie lachte immer und sagte „Er wurde blind vor Liebe, ich habe es in seinen Augen gesehen. Ein Mann der eine Frau liebt, wäre bereit alles für sie zu machen“. Heute weiß ich, dass Abdullah damals auch recht ansehnlich war und Döne mit seiner Aktion etwas imponierte. Das dieses Format nicht jederfraus Geschmack ist, keine Frage! Nichtsdestotrotz wartete sie drei Jahre auf ihn, was ja auch sein Hauptanliegen an dem Tag in der Küche war. Alle weiteren Verehrer orientierten sich um. Sie heirateten und bekamen viele Kinder. Auch sie hatten Höhen und Tiefen. Döne war, man glaubt es kaum, die Tonangebende dieser Beziehung. Denn, was viele nicht wissen, sind es doch fast immer die Frauen in türkischen Beziehung, die das letzte Wort haben. (Ich lasse jetzt bewusst die Katastrophen-Beispiele aus. Diese gibt es übrigens in allen Kulturkreisen!!!).

Der Aggregatzustand von Liebe: fest bis gasförmig

Ja, es gibt wohl differenzierte Aggregatzustände, dennoch ist es immer die selbe Substanz. Liebe passt sich den Probanden, den Umständen und den Bedürfnissen an. Kritisch wird es, wenn man sie nur noch als flüchtiges Gas mit Kurzzeitwirkung vorfindet.

Ein türkisches Sprichwort besagt Sevgi emek ister (Liebe bedarf Mühe). 

Auf das wir uns mehr Mühe geben.

Laudatio an mein T

Heute sind es nun genau 22 Jahre. An einem 17. November haben wir zusammengefunden. Es war eine lange Nacht zuvor. Ich habe mir, wahrscheinlich zum ersten mal, sehr sehr lange Gedanken über uns zwei gemacht. Wie würde es wohl sein? Du und ich. Und was würden die anderen sagen? Es würde wohl immer welche geben, die nicht damit einverstanden sind, die es nicht gut finden, die darauf einreden sich voneinander zu trennen. Und ja, meine Eltern fanden die Idee auch nicht wirklich gut. Aber es kam wie es kommen musste. Wir haben uns gefunden. Du und ich, für immer.

Seit 22 Jahren ehre und schätze ich dich. Ich versuche, gehobenen Hauptes dir gerecht zu werden. Wir haben gute und schlechte Tage. Aber was zählt ist, dass wir noch immer zusammen sind. Es ist nicht so, dass ich mit dir besser oder sicherer bin. Du bist kein Schutz! Kein Zwang! Vielmehr bist du wie mein I-Tüpfelchen. Du bist das Ding, das mich vollendet. Mit dir bin ich komplett. Du gehörst zu mir. Wenn ich in den Spiegel schaue und dich sehe fühle ich, wie am ersten Tag, Wehmut, Stolz und einwenig Verantwortung. Verantwortung für all jene, die so sind wie ich. Ich bin dankbar, dass ich die freie Wahl habe mit dir Ich selbst sein zu dürfen.

Ich danke dir für die wunderschönen und auch nicht so schönen gemeinsamen 22 Jahre. Ich wünsche mir noch viele viele Jahre mit dir.

Ich danke meinem KOPFTUCH

♥♥♥

„Haben Sie schon einmal gedacht in die Türkei zurückzugehen?“- „Nein!“

Das es im Leben nicht immer zugeht wie auf einem Ponyhof, das weiß ich ja schon länger. Aber dass es nicht unbedingt wie auf einer nicht-artgerechten Schweinefarm zugehen muss, das weiß ich auch! Wie der Zufall es will, befinde ich mich gerade nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Es ist hart auf etwas verzichten zu müssen, was einem so sehr ans Herz gewachsen ist, was man wie sein eigenes Kind groß gezogen hat, und was einem dann so von heute auf morgen entzogen wird, wie quasi irrtümlicher weise total unbegründet und unberechtigt vom Jugendamt; in meinem Fall durch die Finanzkrise des Unternehmens. Was nun? Wo ich doch so ein strenggläubiger Workaholiker bin. Ich habe gemerkt, dass ich mich in den vergangenen Jahren stark durch meine Kinder und meine Arbeit definiert habe. „Sage mir was du arbeitest und ich sage dir wer du bist“ dieser Satz stand scheinbar in unsichtbarer Schrift über meinem Schreibtisch. Tja und jetzt wo ich ja nicht mehr arbeite, also müsste es heißen im Folgeschluss, bin ich nicht. Das war ich glaube ich in den letzten drei Monaten auch. Ich war einfach nicht. Weg. Einfach ausgeschaltet. Wie bei allen anderen Arbeitslosen, ist man zunächst einfach nur wahnsinnig traurig, irritiert, dann nochmal traurig, dann desorientiert, dann wieder traurig, usw. bis sich der Kreis dann zunächst mit Zorn, Wut, und dann mit einem impulsiven „jetzt reicht’s aber mal wieder“ schließt.

Pech-Magnet

Wir leben ja in einem Sozialstaat. Da kann einem Gott sei Dank nicht viel passieren. Man muss dann eventuell einige Abstriche machen, aber im Vergleich zu anderen Mitmenschen auf der Welt, ist man in Deutschland auf der sicheren Seite. (An diesen Satz glaube ich übrigens trotz allem immer noch) Dank der jahrelangen Work-Life-Children Balance, bin ich also nicht berechtigt Arbeitslosengeld zu beziehen. Pech Numero 1! Wenn ich nicht arbeite, habe ich keinen Anspruch auf einen Hortplatz für meine Tochter, die in die erste Klasse geht und unverschämterweise jeden Tag um 11:30 Uhr aus hat. Die vom aussterben bedrohten Hortplätze sind rar und mithalten kann man da wirklich nur wenn man Alleinerziehend, todkrank oder ähnliches ist. Mit ganz viel Aufwand hatte ich es kurz vor meiner Kündigung hingekriegt eine provisorische Gruppe zusammenzustellen. Diesen Platz habe ich dank meines erneut aufgenommenen Studentenstatus erhalten. Allerdings zerplatzt nun diese Seifenblase von Betreuung, allerdings aus völlig anderen bürokratischen Gründen, auf die ich vielleicht bei einem anderen Eintrag eingehe. Da ich nun meinen Studentenstatus habe, bin ich nicht Hartz-IV -Berechtigt. Pech Numero 2! Aber Bafög bekomme ich auch keines mehr da ich schon 35 bin, somit Pech Numero 3!

Um nicht alles immer auf Behörden-Gedös auf mich hinzunehmen lege ich Widerspruch ein und bekomme genau einen Monat später einen Termin. Ich versuche meine Situation klar und verständlich zu verdeutlichen. Ich bin 35, habe zwei kleine Kinder, Migrationshintergrund, Kopftuch und keine Berufsausbildung.Das Studium dauert in meinem Fall nicht wirklich lange, das letzte Drittel nimmt nicht mehr wie 3 Semester Zeit in Anspruch, und würde eventuell meine beruflichen Einstiegschancen in den Arbeitsmarkt erhöhen. Nein! Gesetz ist Gesetz. Da lässt sich nichts machen. Das sei bitter in meinem Fall aber so ist es nun mal im Leben. Ich bin gefasst, denn damit war zu rechnen. Eine Exmatrikulationsbescheinigung möchte man dort sehen, damit man mir helfen kann. Ich solle mir schon mal Gedanken machen, wo ich mich am liebsten eingliedern lassen möchte; in den Erziehungs- oder Pflegebereich. „Haben Sie schon einmal gedacht in die Türkei zurückzugehen?“ werde ich gefragt. „Sonne, Strand und Meer, die Türkei ist doch ein schönes Land“ höre ich noch. „Sie schauen wohl keine Nachrichten oder? Mit zwei Kindern ist das für mich nicht die naheliegendste Option derzeit, außerdem muss man von woher kommen um zurückzugehen, ich bin in Deutschland geboren!“

Not hopeless aber planlos

Die Hoffnung stirbt Gott sei Dank zuletzt. Nach drei Monaten Trauer habe ich mich für neue Jobs beworben. Ich „knicke“ den Job des Journalisten nicht, wie man mir im Jobcenter zusicherte. Vielleicht schreibe ich jetzt einfach anders, aber ich schreibe. Ich habe als Kind zwei Allergie-Schocks mit völliger Bewusstlosigkeit und Körperstarre überlebt, so leicht kriegt man mich nicht vom Feld. Es mag sein, dass es ein sehr langer und harter Winter wird, aber dafür wird der Frühling umso schöner.

 

 

Fotoquelle http://triops-zucht.over-blog.de/article-26630551.html