Sharing Ramadan

Nun sind es nur noch 24 Stunden, bis der heilige Fastenmonat der Muslime, Ramadan zu Ende geht. Die Fastenzeit war 2018 für uns ganz besonders. Wir haben in diesem Jahr ausschließlich mit Nicht-Muslimen und Geflüchteten am Abend unser Fasten gebrochen, bekannt als „Iftar“. Unter dem Motto #SharingRamadan haben viele Muslime in den sozialen Medien Beiträge und Fotos von gemeinsamen Begegnungen geteilt. Denn Fasten heisst eigentlich nicht nur Verzicht auf Lebensmittel, Getränke und Genuss sondern Fasten heißt primär Besinnung, Disziplin, Umkehr und Teilen.

Wir möchten uns nochmals bei unseren wundervollen Gästen bedanken, die jeden Abend so unendlich bereichert haben. Kein einziger Abend glich dem anderen. Am Tisch herrschte Aufregung, Freude, Harmonie und Geschwisterlichkeit. Dabei waren gerade unsere Unterschiede und Differenzen der Grund der Bereicherung. Wie tollkühn der Mensch doch sein kann, wenn er denkt nur durch Gleichheit und Einfalt kann Schönes entstehen.

Viele Gäste haben ansatzweise versucht an dem Tag, an dem sie zum Iftar eingeladen waren, zu fasten. Diese Geste ist sehr nobel. Zumal man als Nicht-Muslim ja keinerlei „Zwang“ hat, dies zu tun. Man hat diesen „Zwang“ im übrigen auch als Muslim nicht, da das Fasten ein Gebet ist und zu den 5 Säulen des Islam gehört. Gebete werden bekanntlich für Gott gemacht und dazu kann man Menschen nicht zwingen, da es eine Art Kommunikation zwischen Mensch und Gott ist und Dritte nicht eingreifen dürfen.

Spannend und ebenso überraschend war es festzustellen, dass 90% unserer Gäste bisher noch nie zu einem Iftar eingeladen waren. Wir hatten also, wenn man das so bezeichnen darf, überwiegend „Jungfern-Fastenbrechen“ oder „Erstis“. Umso größer war für uns die Ehre, dass sie dies mit uns an unserer Tafel getan haben. Wie kann es aber sein, dass Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland seit Jahrzehnten zusammen leben und diese intensive Zeit noch nie gemeinsam zelebriert haben? Ich kann es mir eigentlich nur so erklären, dass auf beiden Seiten Hemmungen die Zusammenkunft hindern. Muslime denken sich oftmals „Deutsche essen nicht so spät und oft auch nicht warm am Abend- ergo lieber nicht stören. Außerdem könnte man die Einladung falsch verstehen, im Sinne von missionieren oder ähnliches“. Nicht Muslime glauben oft, dass Iftar nur für Fastende und Muslime gängig ist und gehen davon aus, dass sie aus Prinzip nicht daran teilnehmen können. Beidseitige Irrungen und Wirrungen haben wir dieses Jahr mit 23 Nicht-Muslimen behoben. Wir haben bereits Absprachen für das kommende Jahr! Spätestens 2019 essen wir wieder gemeinsam.

Eins ist sicher: auch Ramadan wird viel viel schöner, wenn man die Zeit gemeinsam teilt! Wie auch ein Gast bemerkte, ist das gemeinsame Warten auf den Gebetsruf bei Sonnenuntergang, der das Ende des Fastens für den jeweiligen Tag angibt, ein bisschen wie an Sylvester. Die Spannung steigt mit jeder verstreichenden Minute und am Ende gibt es selbst beim ersten Schluck Wasser eine Gefühls- und Geschmacksexplosion. Das wohlige Gefühl der Dankbarkeit umwickelt alle am Tisch und man kann mit Freunden das Essen genießen und ist sich über das Privileg, satt werden zu können, in vollem Ausmaß bewusst. In diesem Sinne Danke an alle!

Auf Wiedersehen geliebter Ramadan…

Heute befinden wir uns am letzten Ramadan Tag…

Der Monat ist sichtlich zu Ende…

Auch wenn die Freude auf das Fest groß ist,

so bleibt doch ein gewisser Trennungsschmerz von dieser heiligen Zeit…

Wir werden heute Abend unser letztes Fastenbrechen unternehmen, wenn Gott will schaffen wir es in die nächste Fastenzeit. Ramadan 2016 war für mich ein Monat voller neuer Erfahrungen. Manch Vorsatz konnte realisiert werden, mancher kommt für 2017 erneut auf meine Agenda. Alles in allem bin ich doch ziemlich erleichtert. Das Wetter hat sehr gut mitgeholfen, es war überwiegend erfrischend kühl. Ein richtiger Segen, wenn man bedenkt, dass die Tage definitiv nicht kürzer wurden. Ich hatte mich bewusst aus dem aktuellen Geschehen so weit wie möglich zurückgehalten, auch das habe ich, besser als vermutet, eingehalten. Ich hatte mir als Ziel gesetzt nichts kommerzielles für mich zu kaufen, das habe ich auch geschafft. Der Wunsch einige Kilos loszuwerden konnte zum Glück auch realisiert werden.

Den Vorsatz gar nichts wegzuschmeißen habe ich leider nicht geschafft. Spätestens 2017 werde ich diesen Vorsatz erneut in Angriff nehmen. Ich habe zwar wirklich versucht so wenig wie möglich zu kochen, aber ab der Hälfte wurden unsere Mägen ziemlich klein.

Auch das Tarawih Gebet habe ich leider nicht jede Nacht geschafft- das ist auch ein bleibender Vorsatz.

An 8 Abenden haben 34 Personen gemeinsam mit uns Iftar gemacht. An drei Abenden haben wir an gemeinsamen Fastenbrechen teilgenommen. In Anbetracht von „spät-Schulkinder- Nachbarschaft“ lässt sich das Ergebnis wirklich sehen, denke ich.

Summa summarum können wir zufrieden sein. Nichtsdestotrotz ist eine gewisse Trauer in mir. Diese ist nicht zwangsläufig an ein Stockholmer Syndrom verknüpft. Nein, wir fühlen uns diesem Monat nicht verbunden weil er uns peinigt und bloß stellt. Vielmehr sind wir, wenn auch für einen kurzen Moment ganz klar und wach gewesen, konnten wichtiges von unwichtigem, Dankbarkeit von Undankbarkeit, Vergänglichkeit von Ewigkeit auseinander halten. Nun haben wir Angst, dass wir sie wohl nicht mehr bewahren können, diese Gabe…

In diesem Sinne beten wir heute, an Arefe,  1000 Ihlas, besuchen die Grabstätten, besinnen uns am letzten Iftar, danken für all jene Gaben, die unser privilegiertes Leben so sehr bereichern…

Elveda ya Sehr-i Ramazan

Ramadan kareem 2016

Weltweit fasten Millionen Menschen im Monat Ramadan. Und ja, sie essen nicht nur bis Sonnenuntergang- sie dürfen auch nichts trinken 🙂 Und nein, die Fastenden sind nicht kurz davor den Löffel abzugeben sondern erleben zeitweilen ihre kleinen Nirwanas. Für all jene, die es nicht ganz glauben: lasst euch zum Iftar/Fastenbrechen einladen und macht doch den Selbstversuch… Hier einige Zeilen zu meinem ersten Tag im Ramadan 2016…

Endlich ist er da, der langersehnte, Ruhe und Frieden stiftende Monat, Ramadan… Ich muss sagen, ich freue mich dieses Jahr ganz besonders auf die Fastenzeit. Höchstwahrscheinlich weil ich noch nie so dermaßen müde und zerstreut von den Ereignissen der Weltgeschichte war. Ständig passiert irgendwo auf dieser Welt ein Leid und Elend, wessen Zuschauer wir alle werden, und ein kollektives Schulterzucken uns zu unserem egoistischen, mit Wohlstand gezückten Alltag überleitet. Ich habe mir vorgenommen dieses Jahr komplett zu fasten: nicht nur Essen und Getränke werden reduziert sondern auch alles andere an Unfug und Zeitverschwendung- ich wünsche mir wirklich innig, dass ich es dieses Jahr schaffe.

Für meinen ersten Fastentag habe ich mir vorgenommen meinen Tagesablauf zu dokumentieren. Ich habe schon seit geraumer Zeit eine Schreibblockade. Die Nachrichten auf meiner Timeline lassen alles, worüber ich mich schriftlich ablasse einfach nichtig und banal erscheinen. Nicht so zum Thema Ramadan. Die Zeilen fließen gerade so… Es wird für viele von uns eine nicht ganz so einfache Zeit, die Tage sind lang und heiß. In manchen Teilen dieser Welt fastet man länger als 20 Stunden! Nichtsdestotrotz ist es dennoch ein ganz besonderes Gebet, denn es ist ein zeitgleich, ein monatiges, globales und kollektives Gebet… Mögen die Gebete der frömmsten unter uns erhört werden und unsere in die derer eingegliedert…. In diesem Sinne #HappyRamadan2016

 

03:00 Aufwachen zum Essen/Sahur 

Ich stehe leichter auf als erwartet. Muss wohl eine Leichtschlafphase erwischt haben. Dass dem nicht immer so sein wird in den kommenden nur noch 29 Tagen weiß ich sehr genau! Doof ist, dass ich heute alleine esse, da mein Mann beruflich unterwegs ist. Ich hasse es alleine zu essen. Dennoch stehe ich auf und mache mir etwas. Es gibt Toast, Fruchtjoghurt mit Chea-Samen, Datteln und Rosinen. Ich will zwar viel trinken aber mehr wie 2,5 Gläser schaffe ich nicht.

Ich sehe nach den Kindern, die feste schlummern.

Irgendwie ist es extrem still in der Wohnung. Mein Tinnitus macht sich unangenehm bemerkbar, ich muss etwas Lärm auffinden. Ich schalte auf YouTube ein Sahur Programm ein. Leider ist das Gespräch im Vorspann schon abgelaufen, man richtet sich nach anderen Zeitzonen, aber ich höre einer Koranrezitation zu. Bakara 240 wird gerade von vorgelesen: Diejenigen von euch, die abberufen werden, und Gattinnen zurücklassen, sollen ihren Gattinnen Versorgung für ein Jahr vermachen, ohne dass sie vertrieben werden. … In dieser Sure wird soviel zum Scheidungs- und Erbrecht vermittelt… Ich wundere mich, dass man für seine Frau im Vorfeld im Falle eines Todes für ein ganzes Jahr eine Versorgung organisieren sollte. Die wenigsten unter uns tun das wohl heute, denn wir gehen davon aus, oder verhalten uns zumindest so, als ob wir ewig leben! Die Rezitation berührt mich sehr. Ich verstehe zwar kein arabisch aber dennoch verbinde ich etwas emotionales mit dieser Sprache… Irgendwie bin ich sowieso die letzten Tage sehr nah am Wasser gebaut… Man wird wohl im Alter etwas sensibler…

04:38 Erste Anzeichen von Durst?!

Ich habe das Gebet verrichtet und tippe so vor mich hin. Es ist immer das selbe Dilemma- wenn man knapp aufsteht hat man nach dem Zähneputzen nicht mehr ausreichend Zeit noch genug zu trinken. Keine Ahnung was die Leute in die Zahnpaste reinstopfen aber nach kurzer Zeit hat man einen ganz trockenen Mund! Dem ist nun der Fall. Vor mir steht eine große Flasche Wasser aber wir zwei gehen nun für 17 Stunden getrennte Wege!

Ich habe meine Facebook App vom Smartphone gelöscht! Das Handy ist eben der tägliche permanente Begleiter und irgendwie ist es schon ein Reflex geworden die Timeline abzuchecken während man wartet, sitzt oder gar sich mit jemand unterhaltet. Mal sehen wieviel Zeit man dadurch gewinnt. Es wird mich wohl nicht komplett aus dem Geschäft der socialmedia retten können aber zumindest muss man dafür mehr Aufwand aufbringen um verbunden zu sein (via Laptop) und kann es eben nicht überall!

Habt ihr alle fest schlafenden da draußen eigentlich schon mal gehört, dass die Vögel am schönsten vor Sonnenaufgang singen? Es ist kein wildes Gezwitscher. Es ist vielmehr ein melodischer Chor! Es heißt sie sollen Allah lobpreisen. Es klingt einfach bezaubernd! Mit dem Aufgang der Sonne endet der Gesang. Nimmt euch mal die Zeit und lauscht!

08:30 Erster Anflug von Schlaf und Hunger

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ich habe seit 03:00 Uhr nicht geschlafen. In der Zwischenzeit habe ich Koran gelesen, Kinder geweckt, Frühstück und Pausenbrote vorbereitet, in Schule und Kita gebracht, ein Stückchen vorgekocht. Ich merke so allmählich Kontraktionen im Magenbereich. Für gewöhnlich gibt es nämlich jetzt ein Frühstück- heute eben aber nicht. Man muss es sich ja nicht gleich am ersten Tag verscherzen- folglich lege ich jetzt bis ich zur Uni muss eine Pause ein und schlafe erst mal ein wenig, obwohl ich genau weiss, dass ich danach ziemlich durstig aufwachen werde aber egal, man muss beim Fasten Kompromisse eingehen. Also: Stand-by-Modus an….

11:00 Aufstehen aber wie?

Ich habe überraschenderweise keinen Hunger. Aber durstig bin ich. Außerdem könnte ich eigentlich den ganzen Tag so rumliegen aber ich muss zur Uni, die Referatsgruppe wartet, hängen lassen geht nicht. Ich mache mich fertig und es dauert irgendwie ewig. Ich bin total langsam, so langsam dass ich mich selber nerve. Zum Glück schaffe ich noch den Bus. Eigentlich müsste ich umsteigen auf S- und U-Bahn. Aber irgendwie sitze ich grad gut und kann glaube ich nicht so gut unter der Erde reisen. Also bleibe ich beim Bus, obwohl der doppelt so lange braucht. Dann nutze ich die Zeit zum Lesen von einem Text. Ich lese zwar aber irgendwie dauert es ewig bis der Satz bei mir ankommt. Ich bemerke auf der dritten Seite, dass ich fast jeden Satz mit Textmarker angemalt habe- soviel zum konzentrierten Arbeiten!

13:00- 15:00 Campus: Achtung Essen und Essende

Auf dem Campus habe ich den ersten Moment der selektiven Wahrnehmung: alle sind am Essen oder sich anstellen für Essen oder aber beim zurückbringen eines bereits aufgesessenen Etwas in Form von Tablett, Teller, etc. Ich verspüre immer noch keinen Hunger, muss wohl an den Chea-Samen liegen. Aber langsam merke ich wie mein Körper für meinen Geist zu träge wird- die zwei haben scheinbar beschlossen getrennte Wege zu gehen. Mein Körper entdeckt die Langsamkeit für sich, nicht nur in puncto Mobilität sondern in allem. Damit meine ich auch alles: ich brauche wesentlich länger beim Lesen, Gehen, Sprechen, ja sogar beim Hören. Bis das Gehörte meinen Verstand erreicht ist der Absender bereits nicht mehr anwesend. Spannend! Aber im Kopf bin ich noch ganz klar, vielleicht sogar klarer als sonst. Die ganzen Abwehrmechanismen, Reizüberflutungen und pipapo sind nicht da- es ist als ob mein Geist nun eine Brille bekommen hätte und eine starke Sehschwäche kuriert wäre. Spannend!Mir ist etwas kalt, muss wohl auch mit der Nahrung, dem Koffeinmangel, Schokoentzug und was ich sonst noch so durchlebe zu tun haben.

Als ich an der Uni bin regnet es richtig stark. Es wird sofort etwas kühler, und draußen herrscht eine vorübergehende Ruhe, weil alle sich irgendwo verkrochen haben um nicht nass zu werden. Regen bedeutet immer auch Rahmet, Bereket und Segen. Ich merke, wie ich gegenüber alltäglichen Ereignissen aufmerksamer werde, dafür bin ich dankbar.

16:00 Kochen Endphase

Wir haben uns vorgenommen die Fastenzeit wirklich andächtig in vollen Zügen zu durchleben. Das heisst es gibt dieses Jahr keine Völlerei! Leider ist es tatsächlich so, dass wir Muslime zwar den ganzen Tag Enthaltsamkeit üben, diese Übung dann aber nach Sonnenuntergang auf’s massivste zerstören. Es wird gegessen wie Gott in Frankreich. Das gibt es dieses Jahr nicht. Wir sind mit der Welt solidarisch- wenn andere nicht so viel essen können, dann wollen wir es auch nicht obwohl wir es könnten. Ich baue mehrere Tage die Woche vegane Menüs ein, die Menge ist nicht übertrieben und wenn es keine Gäste gibt dann soll es auch kein komplettes Menü geben. Heute gibt es zum Glück Gäste, also: Suppe, Salat, Hauptgang und Obst zum Nachtisch.

Beim Kochen fällt mir der süßliche Geschmack in meinem Mund auf. Hatte das nicht was mit dem Blutzucker zu tun? Das problematische beim Kochen in der Fastenzeit ist, dass man nicht abschmecken kann ob man ausreichend gewürzt hat. Doof, wenn man dann am Tisch Gäste hat!

18:00 Sohbet mit Kindern

Wir haben dieses Jahr einen Ramadan-Kalender ohne Geschenke. Jeden Tag gibt es ein Hadith, ein Gebet oder einen Koranvers, der mit der heiligen Zeit in Verbindung steht. Wir unterhalten uns gemeinsam darüber und malen oder schreiben etwas zu diesem Tag in unser Ramadan-Tagebuch. Für die Kinder ist das gemeinsame und besinnliche ganz wichtig. Sie fühlen sich sichtlich wohl und äußern sich darüber, dass sie Ramadan als eine wunderbare und besondere Zeit wahrnehmen. Ich hoffe wir können dieses Tempo den ganzen Monat durchhalten.

21:37 Allahu Akbar…

Alle Vorbereitungen sind getroffen. Essen steht bereit, Tisch ist gedeckt, selbstgemachte und eiskalte Erdbeerbowle zwinkert mir schon zu. Alles perfekt. Die Gäste sind unterwegs. Ich setze mich die letzte Viertelstunde auf meinen Balkon. Ich schaue mich um auf meinem kleinen, friedlichen „Paradies“ mit Blumen, Vogelgezwitscher, Abenddämmerung und Gewissheit… Gewissheit darüber, dass ich in wenigen Minuten meinen Durst und Hunger stillen werde. Diesen sogar mit ganz vielen und unterschiedlichen Speisen stillen werde. Gewissheit darüber, dass ich heute Nacht in meinem eigenen, super bequemen Bett schlafen werde. Diese Gewissheit macht mich dankbar aber auch so unendlich traurig. Mir schießen Tränen in die Augen, denn es gibt so unendlich viele Menschen, die diese Gewissheit nicht haben. Menschen, die ich täglich in den Medien, Straßen, Haltestellen sehe. Diese Gewissheit sollte kein Privileg für Wenige, sondern für alle sein. Ich frage mich, was wenn im besagten Hadith „Derjenige ist kein Gläubiger, der sich satt isst, während sein Nachbar hungert“ mit Nachbarschaft nicht nur meine Nachbarin von nebenan, sondern meine Nachbarn in der ganzen Welt gemeint sind?!

Es klingelt, die Gäste sind da. Gleich darauf ertönt der Muezzin von der digitalen Gebetsuhr: Allahu Akbar– Allah ist groß, größer als alles andere. Ohne Zweifel…

Ich hatte vergessen wie unbeschreiblich Datteln schmecken können. In diesem Sinne Ramadan Kareem…

 

Buchvorstellung: „Su Üstüne Yazı Yazmak“ von Muhyiddin Şekur

Die Jahrhunderte alten Schriften, die Menschen auf Steine meißelten, sind wie Schriften, die man für den Schöpfer auf Wasser schreibt.

Bücherliebhaber werden genau bestätigen können, dass jedes Buch mit jedem Leser eine eigene Geschichte hat. Die Geschichte beinhaltet zum Beispiel, wie und wo wir über das Buch unsere Erstinformation bekamen und wie das Buch zu uns oder wir zum ihm gelangten. Oft ist es so, dass im Buchhandel das Buch seinen Leser regelrecht anspringt- die Verbindung von Buch und Leser besteht bereits vor der eigentlichen Begegnung.

So war es bei mir auch bei diesem Buch. Ich weiss nicht mehr wo ich das Cover sah, mit großer Wahrscheinlichkeit war es wohl bei einem der unterschiedlichen sozialen Netzwerke. Das Bild erinnerte mich sehr an Monet, der viel mit unscharfen Rändern und natürlichen Szenen malte. Die Überschrift hingegen, übersetzt, auf Wasser schreiben, erinnerte mich an die Ebru Malerei, bei der man auf der Wasseroberfläche malt und dann das Bild auf Papier überträgt. Ebenso las ich, dass es eine biographische Arbeit eines Sufis war,  so setzte ich dieses Buch auf meine Ferien-Literatur-Liste und suchte es bei erster Gelegenheit in der Türkei. Es stellte sich sehr bald heraus, dass ich dieses Buch weder in Eskisehir, Ankara und noch in Izmir in den mir gängigen Buchhandlungen finden sollte. Es nervte mich gewaltig, denn durch die Unerreichbarkeit stieg die Entzückung für dieses Buch. Ich würde es sobald ich wieder zu Hause in Deutschland ankommen würde online bestellen, denn auf die türkischen Bücherläden war scheinbar kein Verlass. Auf der Heimreise machten wir unseren letzten türkischen Zwischenstop in Edirne. Ich bildete mir ein, mich mit der Bestellungsgeschichte arrangiert zu haben, jedoch suchte ich unterbewusst noch weiter. So kam es dann, dass ich wider Erwarten, in einem ca. 6qm großen Bücherladen zum letzten mal anfragte. Ich war so stark darauf eingestellt, dass der Verkäufer sagen würde „es tut mir leid, es ist ausverkauft, aber wir können es gerne bestellen“. Man konnte mir doch dabei so gut ansehen, dass ich eine Reisende war, eine, die nicht lang genug bleibt, um die Bestellung entgegen zunehmen, eine, die nicht weiss, wann sie wieder kommen wird. Doch diesmal überraschte mich der Verkäufer und streckte mir das Buch in die Hände. Ich war wirklich baff, doch da hatten wir uns nun endlich. Mein Buch wartete in Edirne auf mich, in der letzten Station der Türkei.

Der mühsame Weg eines Sufis

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Alle Sufismus Liebhaber und Amateur Biografieforscher werden dieses Buch lieben, welches übrigens aus dem englischen ins Türkische übersetzt wurde.Ich muss sagen ich war überrascht über Sufis in den USA zu lesen. Der Autor Muhyiddin Şekur beschreibt wunderschön seinen schlängelnden, Geduld fordernden und reinigenden Weg zum Sufismus. Ich muss sagen, dass mir der Sufismus in der Praxis nicht sehr fern ist. Ich hatte die Gelegenheit über längere Zeit an Zikir Zeremonien teilzunehmen, den „Aufnahme“ Gesprächen von Sheikh und Dervis beizustehen, oder in den Gesprächskreisen von, auf den ersten Blick sehr „banalen“ auf den zweiten jedoch sehr tiefsinnigen Anekdoten zuzuhören. Dieses Buch brachte mich in längst vergangene Tage. Ich konnte selber sehen, was davon in mir fruchtete und was längst verkümmerte. Es ist für Menschen der Moderne kaum mehr vorstellbar, dass Erwachsene und freie Menschen sich in den Schatten eines Sheikh’s stellen, ihm Gehorsam versprechen, ihm quasi die Leine, der um ihren Hals hängt, aushändigen. Wir verstehen nicht wie diese Form von Unfreiheit diesen Menschen eine unendliche Glückseligkeit und Freiheit wiedergeben soll. Ebenso empfinden wir Gefahr, einer einzigen Person so viel Verfügungsgewalt über andere Menschen zu übertragen. Der Missbrauch dieser Macht ist viel zu häufig in der Geschichte vorgekommen. Dennoch sehen wir von Muhyiddin Şekur, dass ein Sheikh nicht die selbständige Vernunft und Entscheidung abverlangt, diese ja sogar fordert. Der Lesegeschmack, der bei diesem Buch anhält ist wie folgt: Während wir glauben, dass unser Verstand das Ultima Ratio erreicht hat, verkümmern unser Herz und unsere Seele, und wir sind uns dessen gar nicht bewusst! So bleibt dem Leser nichts übrig, als sich dem mystischen Zauber des Sufismus hinzugeben.

Ich habe beim Lesen die hartnäckige Standhaftigkeit und quasi trotzige Ausdauer Şekur’s bei seinem Weg und bei der Arbeit an ihm selbst sehr bewundert. Viele Versagen nicht an dem schweren Parcours sondern scheitern an sich selbst. Der Sufismus ist einer der wenigen alten Traditionen, der die Krankheiten und Leiden der Neuzeit heilen kann.

 

 

Autor: Muhyiddin Şekur

Titel: Su Üstüne Yazı Yazmak

Verlag: Sufi Kitap

335 Seiten

 

Bildquelle: http://www.sufi.com.tr/kitaplar/muhyiddin-sekur/su-ustune-yazi-yazmak.aspx

Synfonie der Vielfalt: Aşure

Heute ist der 10. Muharram im islamischen Kalender. Für gewöhnlich kocht man an diesem Tag eine Süßspeise aus ganz unterschiedlichen Zutaten, die man eigentlich aus anderen Speisen kennt: Asure.

Auch ich zähle zu den großen Fans dieses süssen Puddings, den Noah laut Überlieferung auf der Arche aus  den restlichen Lebensmitteln gekocht haben soll, als alles quasi schon fertig war. Ich bin jedes mal überrascht, wie Weizen, Kichererbsen, Granatapfel und Co. so gut harmonieren können. Viele Köche*Innen bemessen sich gerne an dieser Süßspeise. Nicht jeder kann die Harmonie der Vielfalt im Kochtopf dirigieren. Die Kichererbse gibt gern vorlaute Töne von sich, und der Weizen ist überall. Die Granatapfel Stückchen tun sich gut mit Pistazienkernen, wollen aber nichts vom Sesam wissen. Das hier ist aber kein Solo meine Lieben, alle zusammen, und je vielfältiger desto besser. Keine Angst, es geht keiner unter, alle kommen dran, jeder ist unentbehrlich und bitte bleib so wie du bist!

Ich habe mir vorhin beim Kochen gedacht, ob man den Pegida-Leuten wohl mal davon zu essen geben sollte, dann würde es ihnen sicherlich besser gehen; Sie würden endlich verstehen, es würde ihnen im Kopf ein Licht und im Herzen ein Tor aufgehen. Naja! Eine Idee ist es sicherlich wert.

Die Schwierigkeit der Asure liegt meiner Meinung nach nicht bei der Zubereitung. Der Hacken ist oder war bisher immer das damit zusammenhängende Verteilen. Sinn der ganzen Aktion ist nämlich, dass man diese Speise an Nachbarn und Freunde verteilt! So und jetzt leben wir aber in einem extrem Allergie-lastigem und individualistisch- zurückgezogenen Zeitalter. Mag mein Nachbar überhaupt Asure? Vielleicht sieht es ja aus seiner Perspektive nicht mehr wie eine Sinfonie der Vielfalt aus, sondern eher wie „vorher schon mal gegessen und ausgespuckt“? Diese Hürde habe ich bereits vor Jahren übersprungen. Ich pimpe mein Asure gerne visuell- Deko-technisch gerne mit allen Nüssen und Stücken gerne auf, so dass es im Schälchen „nett“ aussieht. Dann mache ich einfach Klingelputz bei den Nachbarn, erzähle ein bisschen was dazu. Nachbarschaft-Gemeinschaft und kulinarisch sind meine Schlagworte. Dieses Format eignet sich übrigens perfekt, sich neuen Nachbarn vorzustellen. Smalltalk im Treppenhaus mit Asure, dann muss es doch klappen mit der Nachbarschaft. Ich muss sagen, ich hatte bisher immer ganz liebe Nachbarn. Sie freuen sich immer wenn ich etwas vorbeibringe. Ob sie es dann auch essen und mögen, ist nicht die Aufgabe. Sich überwinden und zwischenmenschlich kommunizieren, das ist der springende Punkt.

 

Was ist hier drin?

Ich habe kein Patentrezept aber die Legende besagt, dass man die Zutaten am besten immer am 10. Muharram kauft damit man immer etwas zu essen hat und dass in der Küche stets Fruchtbarkeit (Google übersetzt mir Bereket damit?!) herrscht. Man sollte immer mindestens 7 Zutaten für die Speise bereitstellen.

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Ich habe folgende Zutaten der Grundmasse mit Wasser zu einem Pudding gekocht:

  • Weizen
  • Kichererbsen
  • Reis
  • Zucker
  • Sesam
  • Aprikosen
  • Rosinen
  • Orangenat
  • Feigen
  • Korinthen
  • eine abgeriebene Schale einer Zitrone

alles klein und fein und lange lange kochen. Weizen und Kichererbsen wurden am Abend zuvor in Wasser eingelegt. In der Dekoration ist jeder frei, nach Lust und Laune….Ich habe Granatapfel, Pistazien, Haselnuss, Mandel, Walnüsse und Pinienkerne.

Ich habe das Privileg, das erste Schälchen zu genießen. Danach mache ich mich auf und verteile… Asure kann man nicht einfach so kochen oder essen. Asure muss man leben! In diesem Sinne happy Cuma, happy Asure….

Das kleine „Helal Einmaleins“

Es gab wiedermal Geburtstag im Kindergarten. Die Mutter des Geburtstagskindes richtete freudig die Torte und das Essen auf dem Tisch in der Gruppe vor. Sie kam lächelnd auf den Jungen und dessen Schwester zu und sagte freundlich: „Für euch zwei Süssen haben ich Pferdesalami mitgebracht. Ich weiss, dass ihr Moslems seid und kein Schwein essen dürft“. Die Geschwister schauten sich kurz an und überlegten. Ihre Eltern hatten nichts von Pferdesalami gesagt. Schwein war schlecht, nein es war sogar verboten, aber Pferd? Nein, Pferd war in Ordnung, sonst hätten die Eltern das auch erwähnt. Höflich bedankten sich die Kinder und aßen von der unbekannt neuen Kost. Zuhause erzählten die beiden von ihrem kulinarischen Erlebnis nichtsahnend. Der Vater schaute die Kinder etwas genervt und auch einwenig entsetzt an. Er war sichtlich überfordert mit der Situation. Die Kinder konnten ja nichts dafür, aber wussten die im Kindergarten denn das nicht, was Helal war und was nicht?! Dann entwich ihm ein äußerst unpädagogischer Satz aus dem Mund: „Na, dann ist es wohl geschehen! Ihr bekommt jetzt wie Pinokkio Eselsohren. Könnt ihr euch noch an die Folge erinnern, als er nicht hören wollte und zur Strafe ganz lange Ohren bekam? Tja, das passiert dann wohl auch demnächst mit euch, in eurem Fall dann Pferdeohren, wegen der Pferdesalami.“

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Die Kinder rannten zum Spiegel. Voller Angst betrachteten sie tagelang ihre Ohren, bis ihr Vater ihnen gestand, dass er den beiden eine Lektion erteilen wollte. Er brachte ihnen zur Sicherheit das kleine „Helal Einmaleins“ bei:

1. zur Sicherheit kein Fleisch,

2. kein Alkohol und

3. alles was wir von zu Hause nicht kennen lieber weg lassen.

Diese kleine Anekdote haben tatsächlich ich und mein kleinen Bruder erlebt. Wir haben tagelang in den Spiegel gestarrt und unsere Ohren beobachtet. Pferdesalami war ab diesem Zeitpunkt ein NO-GO für uns!

Nach über 30 Jahren hat sich auf diesem Gebiet sehr viel verändert. Alles, was wir früher als „bedenkenlos“ verzehrt haben, meiden wir im Regal des Discounters. Dank den E-Nummern ist quasi die DNA des Lebensmittels entziffert- zum Großteil zumindest. Wer hätte damals gedacht, dass selbst pures Brot, Joghurt oder gar Käse nicht-Helal sein kann?!

Die Branche boomt. Wer die Marktlücke entdeckt hat, versucht die Helal-Community für sich zu gewinnen. Es kommen täglich neue Alternativprodukte auf den Markt, den Veganern sei Dank! Wer sicher gehen möchte kann in den sozialen Medien unzählige Foren finden, auf denen Konsumenten Kontakt aufnehmen und fragen, ob der Saft mit Gelatine geklärt wurde und welches Aroma denn in dem Kuchen nun drin ist. Für die ganz Genauen kann die App beim Einkaufen behilflich sein. Zwar gibt es immer noch unzählige Produkte, die nicht im System aufgenommen sind aber im Zweifel kann man dann ja auf die gewohnte Chips-Tüte zugreifen als mit der neuen Sorte auf Risiko zu gehen. Kitas und Schulen haben teilweise schon seit langem das Schweinekotelett weggelassen. Man kann aber auch gerne ganz auf Fleisch verzichten und sich bei dem vegetarischen Menü eintragen. Wobei in manch einer Einrichtung dieses sich dann erstaunlicherweise als abartig anders herausstellt. Die Vorstellung, dass das vegetarische Menü am Beispiel von Pizza dann eben als Pizza mit Gemüse Belag auf den Teller sollte, entspricht nicht der Realität. Das Kind mit dem veggie-Menü bekommt Gemüsesuppe, als ob es nicht schon genug „bestraft“ wäre! Wir arbeiten noch dran!

Das kleine Helal Einmaleins meiner Eltern habe ich meinen Kindern mitgegeben. Sicher werden diese es meinen Enkeln weitergeben. Sie lernen gerade, dass Helal Ernährung keine besondere Folterform ist, sondern eine Philosophie des bewussten und gesunden Umgangs mit Essen. Denn Helal Ernährung bedeutet nicht nur Schwein und Co. wegzulassen. Nein, Helal Essen bedeutet, jegliche Schadstoffe für den Körper und den Geist zu meiden und nur soviel zu sich zu nehmen, wie viel wir auch tatsächlich benötigen.

Bildquelle: http://de.kingdomhearts.wikia.com/wiki/Pinocchio

Elveda Ramazan- Auf wiedersehen Ramadan

Wie schnell ein Monat vergehen kann…

Sehnsüchtig erwartet und der Abschied schweren Herzens…

Ramadan 2015 neigt sich dem Ende, heute fasten die Muslime den letzten Tag…

Dieses Jahr hatte es wahrlich in sich; lange und heiße Fastenzeiten- hohe Akzeptanz und Respekt von Nicht-Muslimen…

Manch einer könnte denken, Muslime sind nun wohl froh, dass der Monat vorüber ist und wahrscheinlich mächtig stolz, dass sie das Fasten-Gebet zelebrieren konnten. Die Freude auf das Fest (Eid) ist sicherlich da. Ja, auch kann man in der Tat ein wenig Stolz auf sich sein, dass man gesundheitlich so fit ist, ein solch körperlich forderndes Gebet verrichten zu können. Aber anderweitige Freude kann ich in mir nicht entdecken. Im Gegenteil. Ich bin zutiefst betrübt, dass dieser besondere Monat uns verlässt.

Ramadan heißt LERNEN

Dieser wunderbare Monat Ramadan, der uns alle lehrt, was es heißt, Hunger und Durst zu haben. Ramadan, der dir Genügsamkeit beibringt, in dem er dir verständlich macht, dass man eigentlich zum Satt-Werden lediglich eine Tasse Suppe benötigt. Ramadan, der einem bis in die letzte Faser das Gefühl von Dankbarkeit beibringt. Dank, für die Gewissheit bei Sonnenuntergang ganz sicher etwas essen zu dürfen und auch zu können. Dank, so viele wunderbare und verschiedene Gaben an Lebensmitteln verzehren zu dürfen. Ramadan, erinnert uns aber auch jedes Jahr von neuem an unsere Pflicht als Mensch, Verantwortung für alle anderen Menschen, insbesondere die Bedürftigen, zu tragen. Er bittet uns, uns an unsere Menschlichkeit zu erinnern. Bei jedem Bissen, den wir zu Mund führen, denken wir an all jene, die jetzt noch immer auf ihren Bissen warten. Das Gewissen meldet sich, wir gehen in uns und teilen.  Ramadan ist der einzige Monat, der den Menschen von seinen materiellen Zwängen und Bedürfnissen derart befreit, dass man zeitweise das Gefühl erfährt, unvergänglich und frei zu sein. Wie ein kleiner Ausschnitt auf das, was nach dem hier und jetzt noch kommt. Die Seele löst sich, wenn auch nur ganz minimal, von allem materiellen, was sie hier ganz schwer und träge anbindet und unfrei macht. Ramadan ist aber im Gegenzug dazu auch eine Zeit, in der wir merken, wie menschlich und zerbrechlich wir doch sind. Unser starkes und kräftiges Wirken verblasst. Wie zahm und leise wir doch alle am Abend kurz vor dem Essen werden. Ramadan, du bist wahrlich eine gelobte Zeit, in der wir uns besinnen….

Mein Ramadan 2015

Ich habe in den 35 Jahren meines irdischen Verbleiben wohl den „ruhigsten“ Ramadan denn je erlebt. Man könnte sagen, dass wir dieses Jahr fast komplett in itikaf (das Zurückziehen und die starke Konzentration auf das Gebet in den letzten 10 Tagen des Ramadan nach Vorbild des Propheten Muhammed s.a.s.) verbracht haben. In den vergangenen Jahren habe ich sehr viele Gäste eingeladen, folglich im Gegenzug auch sehr viel auf Einladungen gewesen, wovon wir dieses Jahr bewusst Abstand genommen haben. Die Gründe hierfür waren nicht vordergründig (Schulkind, Studium, erschwertes Fasten durch Gesundheitszustand, etc.). Der Wille jedoch, einfach mal auf Werkeinstellung zurückzukommen, alle Batterien aufzuladen, die Sinne von der Verstumpfung zu befreien, wohl eher schon.

Es war nicht leicht, Iftar zu zweit, in ungewohnter Zweisamkeit zu machen, zumal ich tatsächlich ein „Herdentier“ bin. Die schlichte Ramadan Deko konnte diesem Gefühl nicht wirklich entgegen wirken. Ich konnte verstehen warum man sagt, dass Einsamkeit nur dem Schöpfer selbst gebührt.

Beim Iftar Menü haben wir uns dieses Jahr auch strikt an „schlicht und genügsam“ gehalten. Es kann nicht muslimisch sinnvoll sein, während so viele Menschen hungern und leiden, Völlerei demonstrativ zu betreiben. In der Tat haben mein Mann und ich abgenommen, darüber sind wir jedoch sehr froh, denn anders hätten die Pfunde nicht gepurzelt.

Ehrenamt und Solidarität wird in der Familie weitergegeben. Unsere Kinder haben dieses Jahr eine wichtige Lektion gelernt. Wir haben uns gemeinsam vor den Kleiderschrank gesetzt und haben uns die schönen Kleider angeschaut. Ich habe ihnen von den Kindern, die nicht so schöne Kleider haben erzählt. Kinder, die vom Krieg geflohen sind oder in ganz armen Ländern leben. Wir haben gemeinsam den Entschluss getroffen, dieses Jahr das Geld, welches wir für Kleider ausgegeben hätten, den anderen Kindern zu schenken. Wir sind am Montag nach Offenbach zu Time to help gefahren und unsere Mädels haben aus eigener Hand gespendet. Sie wurden gelobt und hatten am Abend ein schönes Erlebnis in ihrer Erinnerungsschatzkiste.  Auch bei den Geschenken für das Fest haben wir uns dieses Jahr dezent zurückgehalten.

Alles in allem war Ramadan 2015 wirklich sehr intensiv und ungewohnt anders für mich! Ich bin unendlich traurig, dass es wirklich so schnell vorüber ist und ich so manch andere wichtige Sache nicht wirklich gut oder zumindest bestmöglich verrichtet habe. Die Gewissheit, dass Ramadan nächstes Jahr wieder kommt haben wir. Ob wir jedoch dann wieder mit dabei sein können, leider nicht.

 

Toleranz und Gleichberechtigung- Werte, die Europa abhanden kommen

Toleranz ist die theoretische und praktische Anerkennung oder Achtung vor der Andersartigkeit eines Menschen und somit das Gegenteil von Diskriminierung oder gar Verfolgung, so steht es im Lexikon des Dialogs. Theoretisch und praktisch einen Wert aufzusplitten, ist wohl in unserer heutigen Zeit ein permanentes Vergehen. Denn theoretisch sind wir alle modern, demokratisch, tolerant, human, und was man eben noch so mitbringt um heute als vorbildhaft zu gelten. Wir gehen von der Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Mitmenschen und Mitbürgern aus. Dabei ziehen wir eine unsichtbare Grenze, denn dieses gleiche Recht gewähren wir nur uns und unseresgleichen.

„Du kommst hier net rein“

Kaya Yanar hatte in seinen Stand-Up-Shows immer einen Charakter des Türstehers, Hakan. Dieser Schrank von Türsteher kam immer mit dem Standardsatz „Was guckst du?“. Ähnlich wie Hakan, behandeln wir nun alle anderen, die auch zu uns kommen möchten. Sie gehen von unseren theoretischen  Angaben aus, sie lassen sich von unserem statistischen Reichtum blenden oder wollen einfach nur weiterleben. Sie nehmen Strapazen und Gefahren auf sich, steigen in kleine Boote, geben ihr letztes Hemd für eine unendliche Reise. Dann am Ziel werden sie nicht von unseren theoretischen Werten empfangen. Nein wir empfangen sie mit unserer praktischen Realität. Hakan erzählt ihnen „Ey, du kommst hier net rein“. Während wir aber die Freiheit genießen in alle Länder dieser Welt zu reisen, tolle materielle Vorzüge der Globalisierung zu genießen, sind wir weder tolerant noch gleich berechtigend um zu sagen „du kannst auch zu mir kommen, du bist willkommen“.

Rassismus im neuen Format salonfähig machen

Spätestens nach der Entnazifizierung haben wir verstanden, dass Rassismus ziemlich schlecht und extrem gefährlich sein kann. Dennoch kriegen wir in manchen Gemütern diesen Gendefekt  nicht mehr weg. Er mutiert um weiter fort bestehen zu können. Er ist wohl noch nie so unauffällig und hinterlistig gewesen, denn die Betroffenen selbst wissen oft nicht, dass sie daran leiden. Ausreden wie, es fehle eben der interkulturelle Kontakt, oder man hätte negative Erfahrungen gemacht, sind diesbezügliche NO-GO’s. Oft wird man auf Aussagen stoßen wie „Du bist ja aber anders“ oder „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber“. Der darauf folgende Nebensatz beinhalte eine Abstufung oder negative Wertung.

Jesus, Muhammed, Buddha, Gandhi, Mevlana und Co. haben es uns doch vorgemacht

Ein Sprichwort besagt man müsse Amerika nicht zweimal entdecken. Man solle sich einfach aus den Erkenntnissen anderer Menschen bereichern. Das machen wir gerne in Bezug auf Technik, Medizin und Wellness. Alles wird optimiert und weiterentwickelt. Alles kann somit noch besser auf den Markt gebracht werden, somit natürlich noch mehr Geld einbringen. In puncto Frieden schaffen wir das Kai Zen Prinzip jedoch leider nicht. Frieden bringt unpraktischer Weise kein Geld ein, davon geht man eigentlich aus. Nun ist allerdings so, dass laut neuesten Forschungen der Frieden doch gewinnbringend wirken kann-suprise- diesen Forschungen wird jedoch noch nicht genug Gehör verschafft. Man muss der Rüstungsindustrie vorher noch ein neues Hobby verschaffen. Diese Tatsache hat leider auch nichts mit unserem Zeitalter zu tun, sondern war schon seit der Menschheitsgeschichte so. Und es verwundert uns nicht, dass es dann auch immer wieder herausragende Persönlichkeiten gegeben hat, die uns Frieden vorgemacht haben. In allen Kulturen und Nationen haben sie versucht, die Menschen zu rechtleiten, zum größtenteils  vergebens.

Der muslimische Gelehrte Fethullah Gülen hat folgenden Ausspruch 1985 verfasst  “aç açabildiğin kadar aç sineni, ummanlar gibi olsun“ (Öffne dein Herz soweit du kannst, dass es so weit wie ein Ozean wird). Dieser poetische Satz klingt so einfach und selbstverständlich und doch stellt er uns Menschen wohl vor die größte Herausforderung unserer Zeit. Egal wer, egal wo und egal wann- sich öffnen und Einlass gewähren- so wie er ist- das ist die Aufgabe, die es zu meistern gilt….

 

Foto: gesehen bei Facebook/ graslutscher.de

Liebe Sibel Kekilli…

Dies ist eine fiktive Antwort auf Sibel Kekilli’s Rede am Berliner Schloss Bellevue vom 6. März 2015, die in der FAZ veröffentlicht wurde. Da derartige Texte wie meiner sich nunmal nicht so gut verkaufen, klingen meine Worte auf meinem Blog für meine begrenzte Leserschaft. Das ist jedoch kein Problem- Hauptsache ich habe ihr geantwortet! 

 

Liebe Sibel,

ich habe deine Rede gelesen und bin betrübt, dass du solch traurige Erfahrungen machen musstest. In der Tat ist es heute nicht ganz so einfach eine Frau zu sein. Auf der ganzen Welt sind wir noch am erkämpfen von Grund- und Menschenrechten. Selbst in Ländern, in denen wir juristisch gesehen unsere Rechte haben, hinkt es in der realistischen Umsetzung.

Die Grundmotivation deiner Rede ist deine innere Unzufriedenheit, deine Hin- und Her Gerissenheit und deine Wut. Letzteres entsteht hauptsächlich, wenn man sich gehindert oder nicht zulassen fühlt. Du schreibst :“Warum vertreibt ihr mich? Warum muss ich weg, wenn ich nicht den mit Regeln vollgepflasterten Weg gehe, den ihr mir aussucht. Warum wollt ihr mir ein Korsett aus starren Regeln und Pflichten überstreifen und immer fester schnüren, wenn ich so doch nicht mehr atmen kann? Wieso könnt ihr Freiheit nicht einfach als Wert für alle anerkennen? Ihr müsst mich und meine Wünsche ja nicht unbedingt verstehen, sondern respektieren. Ich bin ein Individuum. Warum nur ist euch die Außenwirkung in der Gesellschaft wichtiger als das glückliche Leben eurer Tochter, Schwester oder Frau?“ Liebe Sibel, das Korsett hast du doch längst weggeworfen! In der Kunst hast du doch deinen neuen Sauerstoff gefunden! Durch deine Filme hast du doch deine Lebenswelt neu definiert! Warum also diese Qual!?

Andere Männer

Ich wünschte du hättest die Möglichkeiten an Erfahrungen gehabt, die ich und noch viele andere Muslimas tagtäglich mit „unseren Männern“ erleben.  Ich bin die Erstgeborene meiner Familie. Das erste Kind ist immer wie eine Premiere. Man ist aufgeregt und gespannt. So waren es auch meine Eltern. Am Tag meiner Geburt kam mein Vater mit 100 roten Rosen ins Krankenhaus. Alle auf der Station haben sich gefragt, wer denn die Glückliche sei. Dieses Glück wurde jedoch am nächsten Tag betrübt. Freunde meines Vaters belächelten ihn und sagten, dass ein echter Mann einen Sohn bekommt. Mit 24 Jahren lässt man sich manchmal Flöhe ins Ohr setzen, so auch mein Vater. Er distanzierte sich von mir. Diese Distanz gelang ihm jedoch nur wenige Monate. Denn als ich anfing Laute von mir zu geben, mein tollstes Hollywood-Baby-Face in Einsatz  brachte, erweichte sein Herz. Diese Geschichte hat er mir nach Jahren selbst erzählt. Ich konnte mich an nichts erinnern, dennoch konnte ich das tiefe Bedauern in seinem Gesicht sehen. Er hatte sich die Zeit genommen, über alles nachzudenken und nachzulesen. Er stellte fest, dass weder unsere Kultur noch unsere Religion eine derartige Abstufung von Töchtern vorsah. Im Gegenteil: mit der Geburt einer Tochter kommt Wohlstand und Allah’s Schutz in dieses Haus. Der Prophet Muhammed s.a.v. verspricht im Jenseits die Nachbarschaft mit denjenigen, die zwei oder mehrere Töchter „gut“ erziehen. Mit „gut“ ist hier die weltliche und geistige Ausbildung gemeint. Mein Vater nahm sich das zu Herzen. Er tat Buße indem er seine Kinder, egal ob Junge oder Mädchen mit identischen Rechten und Pflichten „belastete“. Er gab mir immer das Gefühl, ich könne werden was ich wolle, wenn ich daran glaube. Mein jüngerer Bruder wurde nicht bevorzugt; er sah in mir einen gleichwertigen und ernstzunehmenden Konkurrenten. Für Kinder ist das in der Entwicklung sehr sehr wichtig. Mir wurde auch nicht vorherbestimmt mit wem ich zu heiraten habe. Ich habe meinen Mann meinem Vater selbst vorgestellt.

Die muslimische Gesellschaft und ihre Beziehung zur freien Frau

Du schreibst auch „Was ist denn so bedrohlich an einer freien Frau? Warum wird sie von der eigenen Familie und der muslimischen Gesellschaft klein gehalten? Warum habt ihr Angst vor einer selbstbewussten Frau? Warum versteht ihr nicht, dass Freiheit nichts Bedrohliches hat, dass sie einem nichts tut, sondern nur eine Chance auf Selbstentfaltung bedeutet.“ Dem kann ich so nicht zustimmen. Dir ist sicherlich bewusst, dass es nicht die muslimische Gesellschaft geben kann. Weltweit gibt es Muslime und alle sind von ihren kulturellen und territorialen Gegebenheiten gefärbt. Auch ist eine freie Frau für den Islam und für die Muslime keineswegs eine Bedrohung. Ganz im Gegenteil. Eine freie Frau wird um jeden Preis den Schatz der Freiheit wahren und schätzen und sie wird alles in die Gänge leiten, wenn sie auf eine Unfreie trifft um ihr zu helfen. Somit sind freie Frauen doch einzigartige Aktivistinnen der Gesellschaft die sich einbringen. Ich und viele andere meinesgleichen sind frei in ihrem Leben und frei in ihrer Beziehung. Ich danke heute Allah, dass ich die Ehre habe mein Leben mit einem wundervollen Mann zu teilen, der mich ehrt und schätzt und an mich glaubt, selbst in Momenten, in denen ich mich bereits aufgegeben habe. Ich erfreue mich täglich wenn ich miterleben darf, welch glückliche und liebevolle Beziehung er mit unseren beiden Töchtern hat. Sie werden einmal starke und kluge Frauen werden. Nicht weil sie starke Mutter haben sonder weil sie einen wunderbaren Vater haben.

Du sagst dass du „kümmerlich“ eingehst, weil dir „die Kraft fehlt“ gegen uns „und eine ganze Kultur zu stellen. Denn die muslimische Kultur kann gnadenlos sein“. Weißt du, ähnlich ergeht es mir/uns, wenn ich/wir an dieser Massenexplosion von Diffamierung, Kränkung und Unwahrheiten „aus den eigenen Reihen“ erschlagen werden. Kein Tag vergeht, an dem nicht an uns gezerrt und geschubst wird. Man redet immer über uns, aber niemals  mit uns. Ich bin es manchmal Leid, mich ständig von Ereignissen distanzieren zu müssen und stets für Klarstellung zu sorgen verpflichtet zu sein. Es macht mich traurig zu sehen, dass du ein derart kaputtes und deformiertes Bild vom „Islam“ und von „der muslimischen Kultur überliefert bekommen hast. Mein Bild ist ganz hell und warm. Wenn ich meine Augen schließe und in mich hineingehe dann habe ich einen Schöpfer der mich mit allen meinen Makeln kennt und dennoch liebt, einen Propheten, der selbstlos für mich da ist und mir meine dunkelsten Wege erhellt. Wenn ich meine Augen öffne dann sehe ich meinen Mann, der mir sagt „ich bin mit dir hier und jetzt und auch im Jenseits“.