Dies ist eine fiktive Antwort auf Sibel Kekilli’s Rede am Berliner Schloss Bellevue vom 6. März 2015, die in der FAZ veröffentlicht wurde. Da derartige Texte wie meiner sich nunmal nicht so gut verkaufen, klingen meine Worte auf meinem Blog für meine begrenzte Leserschaft. Das ist jedoch kein Problem- Hauptsache ich habe ihr geantwortet!
Liebe Sibel,
ich habe deine Rede gelesen und bin betrübt, dass du solch traurige Erfahrungen machen musstest. In der Tat ist es heute nicht ganz so einfach eine Frau zu sein. Auf der ganzen Welt sind wir noch am erkämpfen von Grund- und Menschenrechten. Selbst in Ländern, in denen wir juristisch gesehen unsere Rechte haben, hinkt es in der realistischen Umsetzung.
Die Grundmotivation deiner Rede ist deine innere Unzufriedenheit, deine Hin- und Her Gerissenheit und deine Wut. Letzteres entsteht hauptsächlich, wenn man sich gehindert oder nicht zulassen fühlt. Du schreibst :“Warum vertreibt ihr mich? Warum muss ich weg, wenn ich nicht den mit Regeln vollgepflasterten Weg gehe, den ihr mir aussucht. Warum wollt ihr mir ein Korsett aus starren Regeln und Pflichten überstreifen und immer fester schnüren, wenn ich so doch nicht mehr atmen kann? Wieso könnt ihr Freiheit nicht einfach als Wert für alle anerkennen? Ihr müsst mich und meine Wünsche ja nicht unbedingt verstehen, sondern respektieren. Ich bin ein Individuum. Warum nur ist euch die Außenwirkung in der Gesellschaft wichtiger als das glückliche Leben eurer Tochter, Schwester oder Frau?“ Liebe Sibel, das Korsett hast du doch längst weggeworfen! In der Kunst hast du doch deinen neuen Sauerstoff gefunden! Durch deine Filme hast du doch deine Lebenswelt neu definiert! Warum also diese Qual!?
Andere Männer
Ich wünschte du hättest die Möglichkeiten an Erfahrungen gehabt, die ich und noch viele andere Muslimas tagtäglich mit „unseren Männern“ erleben. Ich bin die Erstgeborene meiner Familie. Das erste Kind ist immer wie eine Premiere. Man ist aufgeregt und gespannt. So waren es auch meine Eltern. Am Tag meiner Geburt kam mein Vater mit 100 roten Rosen ins Krankenhaus. Alle auf der Station haben sich gefragt, wer denn die Glückliche sei. Dieses Glück wurde jedoch am nächsten Tag betrübt. Freunde meines Vaters belächelten ihn und sagten, dass ein echter Mann einen Sohn bekommt. Mit 24 Jahren lässt man sich manchmal Flöhe ins Ohr setzen, so auch mein Vater. Er distanzierte sich von mir. Diese Distanz gelang ihm jedoch nur wenige Monate. Denn als ich anfing Laute von mir zu geben, mein tollstes Hollywood-Baby-Face in Einsatz brachte, erweichte sein Herz. Diese Geschichte hat er mir nach Jahren selbst erzählt. Ich konnte mich an nichts erinnern, dennoch konnte ich das tiefe Bedauern in seinem Gesicht sehen. Er hatte sich die Zeit genommen, über alles nachzudenken und nachzulesen. Er stellte fest, dass weder unsere Kultur noch unsere Religion eine derartige Abstufung von Töchtern vorsah. Im Gegenteil: mit der Geburt einer Tochter kommt Wohlstand und Allah’s Schutz in dieses Haus. Der Prophet Muhammed s.a.v. verspricht im Jenseits die Nachbarschaft mit denjenigen, die zwei oder mehrere Töchter „gut“ erziehen. Mit „gut“ ist hier die weltliche und geistige Ausbildung gemeint. Mein Vater nahm sich das zu Herzen. Er tat Buße indem er seine Kinder, egal ob Junge oder Mädchen mit identischen Rechten und Pflichten „belastete“. Er gab mir immer das Gefühl, ich könne werden was ich wolle, wenn ich daran glaube. Mein jüngerer Bruder wurde nicht bevorzugt; er sah in mir einen gleichwertigen und ernstzunehmenden Konkurrenten. Für Kinder ist das in der Entwicklung sehr sehr wichtig. Mir wurde auch nicht vorherbestimmt mit wem ich zu heiraten habe. Ich habe meinen Mann meinem Vater selbst vorgestellt.
Die muslimische Gesellschaft und ihre Beziehung zur freien Frau
Du schreibst auch „Was ist denn so bedrohlich an einer freien Frau? Warum wird sie von der eigenen Familie und der muslimischen Gesellschaft klein gehalten? Warum habt ihr Angst vor einer selbstbewussten Frau? Warum versteht ihr nicht, dass Freiheit nichts Bedrohliches hat, dass sie einem nichts tut, sondern nur eine Chance auf Selbstentfaltung bedeutet.“ Dem kann ich so nicht zustimmen. Dir ist sicherlich bewusst, dass es nicht die muslimische Gesellschaft geben kann. Weltweit gibt es Muslime und alle sind von ihren kulturellen und territorialen Gegebenheiten gefärbt. Auch ist eine freie Frau für den Islam und für die Muslime keineswegs eine Bedrohung. Ganz im Gegenteil. Eine freie Frau wird um jeden Preis den Schatz der Freiheit wahren und schätzen und sie wird alles in die Gänge leiten, wenn sie auf eine Unfreie trifft um ihr zu helfen. Somit sind freie Frauen doch einzigartige Aktivistinnen der Gesellschaft die sich einbringen. Ich und viele andere meinesgleichen sind frei in ihrem Leben und frei in ihrer Beziehung. Ich danke heute Allah, dass ich die Ehre habe mein Leben mit einem wundervollen Mann zu teilen, der mich ehrt und schätzt und an mich glaubt, selbst in Momenten, in denen ich mich bereits aufgegeben habe. Ich erfreue mich täglich wenn ich miterleben darf, welch glückliche und liebevolle Beziehung er mit unseren beiden Töchtern hat. Sie werden einmal starke und kluge Frauen werden. Nicht weil sie starke Mutter haben sonder weil sie einen wunderbaren Vater haben.
Du sagst dass du „kümmerlich“ eingehst, weil dir „die Kraft fehlt“ gegen uns „und eine ganze Kultur zu stellen. Denn die muslimische Kultur kann gnadenlos sein“. Weißt du, ähnlich ergeht es mir/uns, wenn ich/wir an dieser Massenexplosion von Diffamierung, Kränkung und Unwahrheiten „aus den eigenen Reihen“ erschlagen werden. Kein Tag vergeht, an dem nicht an uns gezerrt und geschubst wird. Man redet immer über uns, aber niemals mit uns. Ich bin es manchmal Leid, mich ständig von Ereignissen distanzieren zu müssen und stets für Klarstellung zu sorgen verpflichtet zu sein. Es macht mich traurig zu sehen, dass du ein derart kaputtes und deformiertes Bild vom „Islam“ und von „der muslimischen Kultur überliefert bekommen hast. Mein Bild ist ganz hell und warm. Wenn ich meine Augen schließe und in mich hineingehe dann habe ich einen Schöpfer der mich mit allen meinen Makeln kennt und dennoch liebt, einen Propheten, der selbstlos für mich da ist und mir meine dunkelsten Wege erhellt. Wenn ich meine Augen öffne dann sehe ich meinen Mann, der mir sagt „ich bin mit dir hier und jetzt und auch im Jenseits“.