Ein Pool im Garten und geröstete Zwiebeln

Das menschliche Gehirn ist schon faszinierend. Neulich koche ich so nichtsahnend vor mich hin, schwenke Zwiebeln in Olivenöl. Daneben steht schon das Tomatenmark und eine Zitrone bereit. Meine Mutter hat Okraschoten aus der Türkei gebracht. Also etwas ganz besonderes, was man hier nicht überall finden kann. Ich bin diesmal mit Wehmut und Dankbarkeit am Herd. Als die Zwiebeln sich dann auf dieses heiße Öl einlassen, strömt ein Duft mit dem Dampf empor. Sie verändern ihre Konsistenz, erleben eine Transformation. Eigentlich könnte man sagen- sie gehen drauf! Aber nein! Das sind Zwiebeln, die haben noch einen Plan B. Sie machen das beste draus. Sie machen ein Make-over und sind dann schön gebräunt, wie aus dem Urlaub kommend, schmecken süsslich, sind soft und lieblich.

Zack! Da setzt dann auch gleich mein Gehirn ein und lässt gleich eine Core-Memory aufpoppen. „Weisst du noch?“ fragt es mich, obwohl es ja besser als ich weiss, was ich ich noch im Gedächtnis habe und was ich losgeworden bin. „Weisst du noch, wann du das allererste mal geröstete Zwiebeln gegessen hast?“ Und dann läuft ein Film vor meinem geistigen Auge, einer aus Urzeiten eigentlich…

Ich bin höchstwahrscheinlich noch im Kindergarten, also gefühlt vor 100 Jahren. Es ist Sommer und wir sind eingeladen. Obwohl ich noch klein bin merke ich, dass mein Vater sichtlich zufrieden und aufgeregt ist über die Einladung. Meine Mutter ist auch aufgeregt allerdings kommt ihre Aufregung eher von der Ecke Bedenken und Sorge. Ob die Kinder anständig bleiben, was bringt man als Gastgeschenk mit, worüber redet man denn bei so einer Einladung, Fragen über Fragen… Mein Vater arbeitet damals in der Metall Fabrik Eberle in Augsburg. Er ist jung, etwa Mitte 30, spricht deutsch- autodidaktisch gelernt und ist motiviert. Er sticht in der Fabrik mit seinem Lerneifer und seinem Idealismus hervor. Er versteht sich mit seinem Schichtführer gut, könnte natürlich auch daran liegen, dass er einer der wenigen ist, die überhaupt eine Kommunikation eingehen können. Denn die wenigsten sprechen deutsch und türkisch. Der Schichtführer möchte sich wohl erkenntlich zeigen und lädt meinen Vater und seine Familie zu sich nach Hause ein. Diese Geste ist sicherlich nicht alltäglich und auch nicht selbstverständlich. Das weiß mein Vater auch damals schon und nimmt dankend an und ist erfreut über diese Einladung. Meine Mutter ist noch zögerlich, aber damals, Anfang 30, Hausfrau mit zwei kleinen Kindern, folgt sie der Entscheidung meines Vaters, diese Einladung anzunehmen.

Ich kann mich noch erinnern, dass wir uns alle aufbrezelten, als wir an diesem Sommertag diese Familie besuchten. Sie wohnten außerhalb von Augsburg, im Landkreis. Wir parkten und liefen durch ein Tor über den Gartenweg hinein. Mein Gedächtnis zeigt mir einen Garten am Haus. Links befindet sich ein Pool. Zum ersten mal sehe ich einen Pool im Garten. Ich kenne zu diesem Zeitpunk Flüsse, Bäche, Seen und das Meer aber einen Pool habe ich noch nie gesehen. Das Wasser ist ganz türkis. Rechts vom Pool hat die Frau des Schichtführers einen Tisch gedeckt. Tischdecke und Porzellangeschirr, alles ganz fein. Das Paar, das schon viel älter ist als meine Eltern, vielleicht im Alter meiner Großeltern, begrüßt und empfängt uns herzlich.

Das Ambiente vervielfacht die Anspannung meiner Mutter. Mit Mimik und Gestik kommuniziert sie mir und meinem Bruder mit:“ Vorsicht jetzt! Wenn ihr hier jetzt was anstellt, gibt es später zu Hause mächtig Ärger!“ Wir haben beide die Message erhalten und sitzen auf den Gartenstühlen am Tisch wie zwei Porzellanpüppchen. Naja ok, vielleicht etwas zappelnde Püppchen. Über die Unterhaltungen und weiteres spuckt mir mein Gedächtnis nichts heraus. Auch an die Gesichter der GastgeberInnen poppt keine Information auf. Ich bin mit der Umgebung beschäftigt.

Das nächste, was sich in mein Gedächtnis brennt, ist das Essen was folgt. Die Frau hat Spätzle mit gerösteten Zwiebeln gekocht. Und obwohl ich das vorher nicht gegessen habe, fühlt es sich vertraut und heimelig an. Mein Bruder und ich gehen zwar schon in den Kindergarten aber zur Pause essen alle Kinder immer das, was sie mitbringen. Die Möglichkeit, dass ich das also zuvor schon gegessen habe, besteht gar nicht. Ich erinnere mich, dass die Frau mit meiner Mutter kurz rein ins Haus geht, weil sie vor dem Servieren noch die Zwiebeln röstet. Damals gab es höchstwahrscheinlich noch nicht die Fertigpackung. Sie hat einfach Zwiebeln in der Pfanne karamellisiert und mit Butter geröstet. Als sie damit an den Tisch kommt, strömt ein Duft in unsere Nasen. Es ist nun keinesfalls so, dass die türkische Küche Zwiebeln fremd sind, aber in der Form habe ich das einfach noch nicht gegessen und in Kombination mit den selbst gemachten Spätzle, ist das so ein extrem gutes Essen, dass es sich in mein Gehirn einbrennt.

Die Kombination von Pool und gerösteten Zwiebeln ist für mich so einzigartig, dass abgesehen davon, dass wir zum ersten mal als Familie zu einer deutschen Familie eingeladen wurden, alles übertrifft. Es war nicht so, dass wir keine deutschen Gäste hatten, oder wir zu deutschen Kindern eingeladen wurden und auch diese zu uns kamen. Aber diese Einladung war fast wie bei dem Wiener Opernball, bei dem junge Menschen in die Gesellschaft eingegliedert wurden, in dem sie dort ihren ersten Tanz antraten. Das erste mal ist eben etwas ganz besonderes, egal wie oft man dann später noch tanzt.

Wenn ich heut so zurückblicke, ist das vor 1985 ein extrem galanter Zug des Dialogs. Mutig, dass meine Eltern dieser Einladung gefolgt sind und herzlich, dass der Schichtführer eine türkische Gastarbeiterfamilie zu sich nach Hause, in seinen Garten mit Pool zu Spätzle und gerösteten Zwiebeln eingeladen hat. Wenn Leute heute über Integration reden und denken sie stellen etwas extrem innovatives vor, denke ich mir „wir befanden uns bereits auf dem Rückweg diesen Pfades, da wart ihr noch nicht mal aufgebrochen!“ (aus dem türkischen „siz gelirken biz dönmekteydik“) Auch denke ich oft über die Zwiebel nach, die immer so klein geredet wird, alle sich denken „oh das riecht jetzt sicherlich“ dabei hat die kleine so viel Power in sich und verdient definitiv eine ganz andere Würdigung. Also ein hoch an alle Rezepte mit Zwiebeln und jene, die ihre Zwiebelspeisen mit anderen teilen….