
Nach einer technischen Pause von knapp sechs Jahren wage ich mich erneut an die Uni. Ich besinne mich zu meinen Wurzeln und juble „back to the roots“ denn als Langzeitstudent entwickelt man tatsächlich wurzelartiges Verbindungsmaterial zu der Institution Universität. Ich hatte in diesen sechs Jahren technischer Pause hin und wieder mal ein Blockseminar oder eine andere Veranstaltung, jedoch neigten meine Kinder zur schlimmen Gewohnheit, dass sie gerade zu diesen raren Terminen entweder zahnten oder an extremen Durchfall erlitten, so dass ich sicherlich einige Dutzend Emails mit dem Satz „auf Grund gesundheitlicher Probleme meiner Tochter…“ auf die Veranstaltung flöten konnte.
Nun denn, jetzt sind alle über den Berg, können verbal äußern, wenn etwas nicht passt und erleiden nicht an Entzugserscheinungen, wenn sie zwei Stunden keine Nahrung zu sich nehmen. Ich genieße tatsächlich diese ungebundene Freiheit, es wirkt wie ein Jugend-Elixier. Viel intensiver als jede Anti-Falten-Creme oder Botox-Spritze. Anti-Aging pur! Nichtsdestotrotz will auf diese zwei kleinen Frauen verzichten müssen und im Falle eines Falles, wir hoffen es nicht, würde ich mich immer für sie und gegen den Rest entscheiden, bye the way. (Vor einigen Tagen gab es einen Beitrag in der Zeitung von einigen Müttern, die die Entscheidung zum Kind bereuen, für mich irgendwie nicht nachvollziehbar! hier zu lesen: http://www.deutschlandradiokultur.de/muetter-in-der-gesellschaft-wahnsinniger-druck.1008.de.html?dram%3Aarticle_id=317198 http://www.deutschlandradiokultur.de/regrettingmotherhood-wenn-frauen-bereuen-mutter-geworden-zu.2165.de.html?dram:article_id=317195)
Neustart mit knapp 36
So fange ich also mit knapp 36 nochmal an zu studieren. Zum Glück genau da weiter, wo ich alles auf Eis gelegt habe, es handelt sich in meinem Fall tatsächlich nur noch um 3 Semester. 1,5 Jahre, die sicherlich Ruck-Zuck vorüber sind, wenn man bedenkt, dass die erste Semesterwoche ja schon fast vorbei ist. Die Entscheidung fiel echt nicht leicht. Sie fiel damals auch nicht leicht, alles mal so kurz vor Abschluss auf Eis zu legen. Das System ist leider viel zu fest gestrickt, es gibt kaum Alternativ-Strecken. Wenn man eben umdisponieren muss, und wenn man eben dann früher Kinder bekommt, oder aber wenn man eben nicht alles wie Fritz, Meier, Müller machen kann, dann sollte man doch auch unkonventionelle Wege fahren dürfen?! Ich entscheide mich also vor 6 Jahren alles einwenig langsamer oder aber anders anzugehen. Ich bin an diesem Tag, noch in Heidelberg, in die Vorlesung „Zivilgesellschaft und Assoziationswesen“ gedüst. Gedüst, weil ich vorher noch eine Wickeltasche mit Utensilien für 4 Stunden vorbereitet, meinen Mann und meine Tochter beim Spielplatz abgestellt und dann noch wie irre eine Parkplatz gesucht habe. So komme ich also am besagten Tag noch rechtzeitig in die Veranstaltung. Die ersten 10 Minuten kriege ich nichts mit, da sich erst mein Puls regulieren muss und ich meinem Mann noch mindestens 3 SMS schicken muss, ob die Kleine geweint hat etc. Als ich dann endlich mental in der Vorlesung bin, neige ich mich zu meiner Tasche um meinen Block und meine Stifte zu holen. Da sehe ich, dass der Ärmel meiner Jacke von oben bis unten mit Karotte-Kartoffel-Kotze dekoriert ist. Wie ich mich doch über diese Aufmerksamkeit freue-Ironie. Sie hat sich tatsächlich so verewigt, auf meinem Arm, so quasi „Mama ich habe dich lieb, schau ich teile mein Essen mit dir, bitte vergiss mich nicht“. Ich denke mir nur „hoffentlich geht das auch wieder raus“. Tja, in der Tasche, dann die zweite Einsicht; neben Block und Stift habe ich noch Pampers und Feuchttücher, Schnuller und Babyflasche. Ich schweifte so mit meinem Blick durch den Hörsaal. Außer mir hatte das Chaos keiner bemerkt. Alle hatten wirklich wahnsinnig wichtigere Probleme wie, was zieh ich auf der Party an, wo soll ich heute Mittag essen oder heute Abend lieber Kino oder Grillen. Ich frage mich nur „Was mache ich hier eigentlich?“ So habe ich an diesem Tag innerlich meine Sachen gepackt und mich für das ausschließliche „Mutter-Dasein“ entschieden. Ich bereue meine Entscheidung nicht, auch wenn ich genau weiß, dass auf Grund der Kausalitätskette, diese Entscheidung sich gravierend auf meine Rente auswirken wird!. Aber, egal, ich muss wahrscheinlich eh bis 80 arbeiten, drum, je später ich anfange, desto besser 🙂
Heute, nach besagten 6 Jahren sieht es doch tatsächlich anders aus. Ich kann meinen Plan schön legen, der Tag gehört mir! Am Nachmittag sind dann meine Kinder wieder bei mir, und wir können uns doch tatsächlich erzählen wie unser Tag war. Ich bereite morgens drei Brotdosen vor, eine für den Kindergarten, eine für die Schule und eine für die Uni. Ich genieße die „Anonymität“ an der Universität, ein Teilchen von ganz ganz vielen anderen zu sein. Ich habe quasi wie die Derwische des Cavlaki Tarikat, die einem suffistischen Orden angehören und als Zeichen der Aufgabe aller bisherigen Fähigkeiten und Kompetenzen die komplette Körperbehaarung (auch Augenbrauen!) rasieren, alles Können weggelegt. Ich fange von neu an. Alles, aber auch alles spricht dagegen (Kein Bafög, keine Sozialhilfe), denn Studieren im höheren Alter heisst in Deutschland finanzieller Suizid! Außer man hat geerbt, einen reichen Mann oder ein sicheres Stipendium. Ich habe noch keines dieser Alternativen, aber was nicht ist, kann ja noch werden 🙂
Ich habe damals immer die Studenten mit grauem Haar aus der ersten Reihe, die in jedem Studiengang anzutreffen sind, ein wenig bestaunt. Haben diese Menschen denn nicht etwas besseres zu tun? Und wieso tut man sich so etwas denn zweimal an? Aber das Leben belehrt uns manchmal eines besseren. Mein chices Tuch kaschiert meine grauen Haare, mein Alter behalte ich für mich, aber ich setze mich gerne in die vorderen Reihen, zu den Älteren. Studieren, und damit meine ich nicht Inhalte des Moduls im Kurzzeitgedächtnis abspeichern und dann zur Prüfung auskotzen, nein damit meine ich wissenschaftliches Wissen verinnerlichen und dann weiterentwickelt anwenden, ist doch in der Tat Luxus! Und Leute, ich genieße gerade Luxus pur! Lang lebe das Studenten-Dasein!
Fotoquelle:
http://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Der-Medizin-Student-id20636951.html