Die Jahrhunderte alten Schriften, die Menschen auf Steine meißelten, sind wie Schriften, die man für den Schöpfer auf Wasser schreibt.
Bücherliebhaber werden genau bestätigen können, dass jedes Buch mit jedem Leser eine eigene Geschichte hat. Die Geschichte beinhaltet zum Beispiel, wie und wo wir über das Buch unsere Erstinformation bekamen und wie das Buch zu uns oder wir zum ihm gelangten. Oft ist es so, dass im Buchhandel das Buch seinen Leser regelrecht anspringt- die Verbindung von Buch und Leser besteht bereits vor der eigentlichen Begegnung.
So war es bei mir auch bei diesem Buch. Ich weiss nicht mehr wo ich das Cover sah, mit großer Wahrscheinlichkeit war es wohl bei einem der unterschiedlichen sozialen Netzwerke. Das Bild erinnerte mich sehr an Monet, der viel mit unscharfen Rändern und natürlichen Szenen malte. Die Überschrift hingegen, übersetzt, auf Wasser schreiben, erinnerte mich an die Ebru Malerei, bei der man auf der Wasseroberfläche malt und dann das Bild auf Papier überträgt. Ebenso las ich, dass es eine biographische Arbeit eines Sufis war, so setzte ich dieses Buch auf meine Ferien-Literatur-Liste und suchte es bei erster Gelegenheit in der Türkei. Es stellte sich sehr bald heraus, dass ich dieses Buch weder in Eskisehir, Ankara und noch in Izmir in den mir gängigen Buchhandlungen finden sollte. Es nervte mich gewaltig, denn durch die Unerreichbarkeit stieg die Entzückung für dieses Buch. Ich würde es sobald ich wieder zu Hause in Deutschland ankommen würde online bestellen, denn auf die türkischen Bücherläden war scheinbar kein Verlass. Auf der Heimreise machten wir unseren letzten türkischen Zwischenstop in Edirne. Ich bildete mir ein, mich mit der Bestellungsgeschichte arrangiert zu haben, jedoch suchte ich unterbewusst noch weiter. So kam es dann, dass ich wider Erwarten, in einem ca. 6qm großen Bücherladen zum letzten mal anfragte. Ich war so stark darauf eingestellt, dass der Verkäufer sagen würde „es tut mir leid, es ist ausverkauft, aber wir können es gerne bestellen“. Man konnte mir doch dabei so gut ansehen, dass ich eine Reisende war, eine, die nicht lang genug bleibt, um die Bestellung entgegen zunehmen, eine, die nicht weiss, wann sie wieder kommen wird. Doch diesmal überraschte mich der Verkäufer und streckte mir das Buch in die Hände. Ich war wirklich baff, doch da hatten wir uns nun endlich. Mein Buch wartete in Edirne auf mich, in der letzten Station der Türkei.
Der mühsame Weg eines Sufis
Alle Sufismus Liebhaber und Amateur Biografieforscher werden dieses Buch lieben, welches übrigens aus dem englischen ins Türkische übersetzt wurde.Ich muss sagen ich war überrascht über Sufis in den USA zu lesen. Der Autor Muhyiddin Şekur beschreibt wunderschön seinen schlängelnden, Geduld fordernden und reinigenden Weg zum Sufismus. Ich muss sagen, dass mir der Sufismus in der Praxis nicht sehr fern ist. Ich hatte die Gelegenheit über längere Zeit an Zikir Zeremonien teilzunehmen, den „Aufnahme“ Gesprächen von Sheikh und Dervis beizustehen, oder in den Gesprächskreisen von, auf den ersten Blick sehr „banalen“ auf den zweiten jedoch sehr tiefsinnigen Anekdoten zuzuhören. Dieses Buch brachte mich in längst vergangene Tage. Ich konnte selber sehen, was davon in mir fruchtete und was längst verkümmerte. Es ist für Menschen der Moderne kaum mehr vorstellbar, dass Erwachsene und freie Menschen sich in den Schatten eines Sheikh’s stellen, ihm Gehorsam versprechen, ihm quasi die Leine, der um ihren Hals hängt, aushändigen. Wir verstehen nicht wie diese Form von Unfreiheit diesen Menschen eine unendliche Glückseligkeit und Freiheit wiedergeben soll. Ebenso empfinden wir Gefahr, einer einzigen Person so viel Verfügungsgewalt über andere Menschen zu übertragen. Der Missbrauch dieser Macht ist viel zu häufig in der Geschichte vorgekommen. Dennoch sehen wir von Muhyiddin Şekur, dass ein Sheikh nicht die selbständige Vernunft und Entscheidung abverlangt, diese ja sogar fordert. Der Lesegeschmack, der bei diesem Buch anhält ist wie folgt: Während wir glauben, dass unser Verstand das Ultima Ratio erreicht hat, verkümmern unser Herz und unsere Seele, und wir sind uns dessen gar nicht bewusst! So bleibt dem Leser nichts übrig, als sich dem mystischen Zauber des Sufismus hinzugeben.
Ich habe beim Lesen die hartnäckige Standhaftigkeit und quasi trotzige Ausdauer Şekur’s bei seinem Weg und bei der Arbeit an ihm selbst sehr bewundert. Viele Versagen nicht an dem schweren Parcours sondern scheitern an sich selbst. Der Sufismus ist einer der wenigen alten Traditionen, der die Krankheiten und Leiden der Neuzeit heilen kann.
Autor: Muhyiddin Şekur
Titel: Su Üstüne Yazı Yazmak
Verlag: Sufi Kitap
335 Seiten
Bildquelle: http://www.sufi.com.tr/kitaplar/muhyiddin-sekur/su-ustune-yazi-yazmak.aspx