
Foto von Merve
Es ist nun schon drei Jahre her. Vor genau drei Jahren zur Osterzeit haben wir uns entschlossen die Reise unseres Leben zu machen. Letztendlich sollte man zumindest einmal im Leben dort gewesen sein. Alles passte- genug Geld- genug Zeit- mehr als erforderliche Motivation.
Dieses Land war wirklich wesentlich wärmer als Deutschland, was für uns nicht im geringsten unangenehm war, denn schließlich konnte man von diesem warmen, hellen und euphorisierenden Gut nicht genug bekommen. Als wir uns Gepäck in dem kleinen Hotel am Hang abgegeben hatten sagte unser Reiseleiter „wir sollten gleich los, schließlich sind wir ja nicht zum Schlafen gekommen, je eher wir los gehen desto schneller sind wir dort“. Ich kann mich an jenen Tag sehr gut erinnern, so als ob alles erst gestern geschehen ist. Die Straßen waren voller Menschen. In der Luft waren unterschiedliche Gerüche, Stimmen und Melodien. Alles eben nicht von dieser Welt. Als wir uns näherten sagte unser Reiseleiter „so, nun sind wir fast schon da. Ich bitte sie nun mir zu vertrauen. Senken sie bitte alle ihre Blicke auf den Boden bis wir direkt davor stehen. Es ist wahrlich ein bezaubernder Anblick, der umso mehr an Bedeutung und Wert gewinnt wenn man diesen beim ersten Augenaufschlag direkt davor erlangt. Es ist wie das erste Antreffen des Geliebten. Der erste Anblick ist immer der, an den man sich sein Leben lang erinnert.“
Es fiel mir nicht ganz leicht auf einen Reiseleiter zu hören, den ich nicht gut kannte, vor allem nicht an einem Ort an dem ich noch nie zuvor war. Aber dennoch wollte ich diese eine Chance nicht verpatzen, ich wollte das Flair in vollen Zügen erleben können. So senkte ich meinen Blick. Der Boden war steinig und staubig, die Füße etwas unsicher. Einige Meter weiter erblickte ich weißen Marmor und eine gewaltige Fußmenge: Hunderte, Tausende Füsse; schwarz, weiß, gelb, braun, groß, klein… Ich fühlte mich unsicher, aufgeregt, ja fast schon panisch… Was würde passieren? Was würde ich fühlen? Was wäre wenn ich überhaupt nichts empfinden könnte? Was würde ich tun wenn mir nichts einfallen würde? Fragen über Fragen und keinerlei Antworten. Im Entenmarsch ging es voran. Es wurde immer spannender. Ich konnte immer noch nichts sehen. Der Reiseleiter hatte das Kommando immer noch nicht gegeben. Aber ich konnte fühlen, dass wir nicht mehr weit entfernt sein konnten. Unser Tempo wurde langsamer. Wir schienen in eine Warteschlange geraten zu sein. Auf einer fremden Sprache wurde etwas gefragt. Geantwortet wurde in den unterschiedlichsten Sprachen. Die Frage wurde nun auch an mich gerichtet. Ich schien dran gekommen zu sein. Ich verlor einen schielenden seitlichen Blick zur Frage stellenden Person. Es handelte sich um eine Sicherheitsbeauftragte, die Taschenkontrolle durchführte. Sie hielt sich an meinem Rucksack den ich am Rücken trug fest und zog mich zu sich. Sie fragte etwas. Ich verstand nur das Wort „Foto“. Sie schien nach meinem Fotoapparat zu fragen. Selbstverständlich bin ich mit Fotoapparat unterwegs, so was lasse ich doch nicht entgehen, ich möchte es bis in die Unendlichkeit verewigen. Aber Sie schien damit ein Problem zu haben. Sie ließ meinen Rucksack nicht los und forderte mich auf ihn bei ihr zu lassen. Das wollte ich wiederum nicht denn es waren ja noch diverse wichtige Sachen wie Pampers & Co. meiner Tochter darin. Alles was man eben mit Kleinkind von zwei Jahren so braucht. Sie zog mich nach hinten. Die Masse schob mich nach vorne. Sie wurde immer lauter, die Masse immer ungeduldiger. Ich ging ein Schritt vor und einen Schritt zurück. Es endete damit, dass die Masse dieses Tauziehen gewann, und ich aus dem Griff der Sicherheitsbeauftragten. Die erste Hürde hatte ich nun schon bestanden und hinter mir. Ich drehte mich zum Eingang und suchte meinen Mann der mit unserer Tochter an der Reihe war. Er wurde dezent abgewiesen. Grund war unser Buggy in dem die Kleine saß. Ich konnte es nicht fassen. So kurz vor dem Ziel. Das kann es doch wohl nicht sein? Ich saß in einer hässlichen Zwickmühle. Hinter mir das Ziel der Ziele, das weltliche Nirvana- vor mir Mann und Kind. Die Entscheidung war gefallen! Ich blickte zu meinem Mann und sagte „ich komme gleich wieder, dann können wir den Buggy wieder zurück ins Hotel bringen, ich will nur einen kurzen Blick drauf werfen“. Ich nickte, notgedrungen. Ich drehte mich um, senkte wieder meinen Blick und atmete zweimal tief durch. So jetzt war der Moment nun endlich da. Die seltsame Unterbrechung hatte ich sofort gelöscht und gleich dort angeknüpft wo ich stehen geblieben war und dockte an die Gruppe und den Leiter an. Es war Spätnachmittag. Eine sanfte Brise wehte durch den Schatten. Es war das Gezwitscher von mindestens einer Million Vögeln zu hören. Es hörte sich wie ein Vogelpark an. Im Hintergrund konnte man ein sanftes Summen von Menschen hören, es handelte sich um Gebete. „Halt“ rief unser Reiseleiter und stoppte die tappende Gruppe. „So jetzt heben sie bitte alle ihre Köpfe und vergessen sie bitte nicht was ich ihnen erzählt habe. Mögen Sie mich in ihre Gebeten miteinschließen und möge Allah ihre Gebete erhören“. Den letzen Teil hörte ich nicht mehr ganz, sondern nur noch als leichtes Blabbern.
Ich war da. Er hatte mich eingeladen und ich war zu Gast in seinem Haus, vor der Kaaba. Ich war ehrlich gesagt etwas verwundert, denn den schwarzen Würfel hatte ich mir wesentlich größer vorgestellt. Aber es stand so klar und real vor mir. So echt. Ich fühlte mich wie nach einer Behandlung einer extremen Sehschwäche gar Erblindung. Ich konnte es sehen… Ja ich konnte es sogar fühlen. In mir drin. Die Menschen waren alle voller Extase und umkreisten die Kaaba mit Gebeten. Sogar die Vögel, die ich kurz zuvor so intensiv wahrgenommen hatte, schienen hier ihr Gebet zu verrichten, in dem sie auch diesen heiligen Ort umkreisten. Ich war einfach nur fasziniert. Es war tatsächlich wie alle Pilger immer sagten:“man kann es nicht erzählen, man muss es erleben“. Sie hatten in einer anderen Sache auch noch Recht. Ich war früher immer stutzig und kritisch wenn Pilger nach der Rückkehr berichtete, daß sie alles und jeden dort einfach vergessen hatten. Sie erzählten, dass man dort wirklich jeglichen Bezug zum Irdischen verliert, sich quasi selbst vergisst, weder Hunger noch Schmerz empfindet. Ich sagte dann immer zu mir selbst „Na, der übertreibt ja maßlos. Wie kann man denn seine Kinder vergessen?“. In einem Hadith heisst es man scheidet nicht von dieser Welt bevor man selbst nicht das erlebt was man geächtet und getadelt hat. So sollte es denn sein. Ich hatte wirklich meinen Mann und meine Tochter absolut vergessen. Gegen Abend liefen wir uns wieder über den Weg. Wir fanden uns auf dem Hügel an dem Abraham Frau und Kind mit dem Befehl Allahs hinter sich ließ. Dort waren wir vereinigt.
Der erste Anblick ist in meine Erinnerung eingraviert. Wie ein Memoire in ein wertvolles Schmuckstück, bei dessen Anblick man sich immer erfreut.
Diesen Text widme ich meiner geliebten Schwester, die in einigen Tagen ihren eigenen ersten Anblick erleben darf insallah… Möge er uns immer und immer wieder als Gast in seinem Haus empfangen….