Toleranz ist die theoretische und praktische Anerkennung oder Achtung vor der Andersartigkeit eines Menschen und somit das Gegenteil von Diskriminierung oder gar Verfolgung, so steht es im Lexikon des Dialogs. Theoretisch und praktisch einen Wert aufzusplitten, ist wohl in unserer heutigen Zeit ein permanentes Vergehen. Denn theoretisch sind wir alle modern, demokratisch, tolerant, human, und was man eben noch so mitbringt um heute als vorbildhaft zu gelten. Wir gehen von der Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Mitmenschen und Mitbürgern aus. Dabei ziehen wir eine unsichtbare Grenze, denn dieses gleiche Recht gewähren wir nur uns und unseresgleichen.
„Du kommst hier net rein“
Kaya Yanar hatte in seinen Stand-Up-Shows immer einen Charakter des Türstehers, Hakan. Dieser Schrank von Türsteher kam immer mit dem Standardsatz „Was guckst du?“. Ähnlich wie Hakan, behandeln wir nun alle anderen, die auch zu uns kommen möchten. Sie gehen von unseren theoretischen Angaben aus, sie lassen sich von unserem statistischen Reichtum blenden oder wollen einfach nur weiterleben. Sie nehmen Strapazen und Gefahren auf sich, steigen in kleine Boote, geben ihr letztes Hemd für eine unendliche Reise. Dann am Ziel werden sie nicht von unseren theoretischen Werten empfangen. Nein wir empfangen sie mit unserer praktischen Realität. Hakan erzählt ihnen „Ey, du kommst hier net rein“. Während wir aber die Freiheit genießen in alle Länder dieser Welt zu reisen, tolle materielle Vorzüge der Globalisierung zu genießen, sind wir weder tolerant noch gleich berechtigend um zu sagen „du kannst auch zu mir kommen, du bist willkommen“.
Rassismus im neuen Format salonfähig machen
Spätestens nach der Entnazifizierung haben wir verstanden, dass Rassismus ziemlich schlecht und extrem gefährlich sein kann. Dennoch kriegen wir in manchen Gemütern diesen Gendefekt nicht mehr weg. Er mutiert um weiter fort bestehen zu können. Er ist wohl noch nie so unauffällig und hinterlistig gewesen, denn die Betroffenen selbst wissen oft nicht, dass sie daran leiden. Ausreden wie, es fehle eben der interkulturelle Kontakt, oder man hätte negative Erfahrungen gemacht, sind diesbezügliche NO-GO’s. Oft wird man auf Aussagen stoßen wie „Du bist ja aber anders“ oder „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber“. Der darauf folgende Nebensatz beinhalte eine Abstufung oder negative Wertung.
Jesus, Muhammed, Buddha, Gandhi, Mevlana und Co. haben es uns doch vorgemacht
Ein Sprichwort besagt man müsse Amerika nicht zweimal entdecken. Man solle sich einfach aus den Erkenntnissen anderer Menschen bereichern. Das machen wir gerne in Bezug auf Technik, Medizin und Wellness. Alles wird optimiert und weiterentwickelt. Alles kann somit noch besser auf den Markt gebracht werden, somit natürlich noch mehr Geld einbringen. In puncto Frieden schaffen wir das Kai Zen Prinzip jedoch leider nicht. Frieden bringt unpraktischer Weise kein Geld ein, davon geht man eigentlich aus. Nun ist allerdings so, dass laut neuesten Forschungen der Frieden doch gewinnbringend wirken kann-suprise- diesen Forschungen wird jedoch noch nicht genug Gehör verschafft. Man muss der Rüstungsindustrie vorher noch ein neues Hobby verschaffen. Diese Tatsache hat leider auch nichts mit unserem Zeitalter zu tun, sondern war schon seit der Menschheitsgeschichte so. Und es verwundert uns nicht, dass es dann auch immer wieder herausragende Persönlichkeiten gegeben hat, die uns Frieden vorgemacht haben. In allen Kulturen und Nationen haben sie versucht, die Menschen zu rechtleiten, zum größtenteils vergebens.
Der muslimische Gelehrte Fethullah Gülen hat folgenden Ausspruch 1985 verfasst “aç açabildiğin kadar aç sineni, ummanlar gibi olsun“ (Öffne dein Herz soweit du kannst, dass es so weit wie ein Ozean wird). Dieser poetische Satz klingt so einfach und selbstverständlich und doch stellt er uns Menschen wohl vor die größte Herausforderung unserer Zeit. Egal wer, egal wo und egal wann- sich öffnen und Einlass gewähren- so wie er ist- das ist die Aufgabe, die es zu meistern gilt….
Foto: gesehen bei Facebook/ graslutscher.de